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Patient als Nummer versus Patienten-Nummer

Als ich als neue Patientin in die Onko-Praxis kam, überreichte mir die MFA neben dem Anamnesebogen und der Datenschutzerklärung einen weiteren Zettel. „Hier ist Ihre Nummer drauf.“ Die war auch nicht zu übersehen. In einer 32 Punkt großen Schrift füllte sie das halbe Blatt aus. „Wie Nummer?“, denke ich und gehe langsam zu einem Stuhl im Wartezimmer. Ich schaue mir das Papier genauer an und lese den folgenden Text:

FÜR SIE!
BITTE mitnehmen und notieren!

 
Sie erhalten mit diesem Zettel Ihre Patienten-Nummer,
die Ihnen in unserem Praxissystem zugeordnet ist.

Sie lautet: 7403541
 
Diese ist einmalig und damit nur an Sie vergeben. Daher kann sie als eindeutige Identifikation dienen. Wir bitten Sie diese bereitzuhalten, wenn Sie mit der Praxis telefonieren. Sie ermöglicht uns,
Sie und Ihr Anliegen fehlerfrei zuzuordnen.

Der Zettel schrie mich geradezu an. Ich fühlte mich unbehaglich. Der Inhalt löste leichte Magenschmerzen bei mir aus. Warum bloß? Ist doch eigentlich okay, so werden ja auch Fehler vermieden und ich möchte auch nicht unbedingt, dass mein Name durch die halbe Praxis gebrüllt wird, beruhigte ich meinen erhöhten Puls. Während ich dasaß, hatte ich auch nicht mitbekommen, dass irgendjemand mit einer Nummer aufgerufen worden war.

Ich habe zwei Probleme

Während ich alle Bögen ausfüllte und darauf wartete, aufgerufen zu werden, schaute ich immer wieder auf den Zettel mit der Nummer. Bei dieser Form der Patientenverwaltung gibt es für mich genau zwei Probleme:

  1. Wenn Onko-Patienten neben allem anderen Kram auch noch an diese Nummer denken müssen, wird es schwierig. Als Bestätigung meiner Gedanken brauchte ich mich nur im Wartezimmer umzusehen. Die meisten hatten mächtig mit sich zu tun, schauten traurig vor sich hin. Gerade als frisch diagnostizierter Onko-Patient ist das mit das Letzte, woran du denken kannst, wenn du in der Praxis anrufen musst. Da ist Chaos im Kopf.
  2. Außerdem erinnerte ich mich sofort an ein Gespräch mit einem Onkologen aus Münster. Der war noch völlig perplex, als er mir von einem Patienten berichtete, der ihm kurz vor meinem Eintreten gesagt hatte: „Ach, Herr Doktor, ich bin doch für Sie nur eine Nummer.” Er fragte mich also verunsichert: „Ist das so? Kommt meine Behandlung bei Ihnen auch so an?” „Ich kenne niemanden, der empathischer ist als Sie”, antwortete ich. Und wir unterhielten uns etwas länger über das Zuhören, das Zuwenden und das durchaus auch nötige Abgrenzen. Es ist nicht leicht, diese Aspekte in Balance zu halten. Vermutlich neben der medizinischen Seite die größte lebenslange berufliche Herausforderung.

Jetzt stellte ich mir also vor, dass genau dieser Patient diesen Zettel bekommen hätte. Ich denke nicht, dass das seine Einstellung verändert hätte, sondern im Gegenteil. Es wäre eine Bestätigung seines Vorurteils gewesen, das – so habe ich festgestellt – in einigen Köpfen steckt. Schade. 

Ergo: Wenn man sich bereits als Nummer fühlt, sollte man sich nicht auch noch als eine identifizieren müssen.

Ein kunterbunter Wirrwarr

Nachdem ich mich ein wenig bei befreundeten Ärzten und Krebspatienten umgehört hatte, kamen noch andere Anmeldeverfahren zum Vorschein. „Unsere Patienten sind mit Bild in der Kartei”, erklärte mir eine Freundin. Eine andere erzählte: „Ich musste letztens meine Nummer eingeben und dann stand mein Name mit großen Lettern auf einem Display im Wartebereich. Ich und die anderen Wartenden konnten verfolgen, wann ich dran war und wie es für mich in welcher Abteilung weiter ging.” Und der Knaller: „Bei mir hatte sich ein Zahlendreher eingeschlichen. Das war ein Schreck, als schnell klar wurde, dass ich nicht Frau Hinz (79 Jahre alt), sondern Frau Franz (47 Jahre alt) war.”

Ehrlich? Nicht euer Ernst! Anscheinend ist das hier und dort schon lange gelebte Praxis.

Ein positives Beispiel, das alles sehr elegant umschiffend, fand ich folgende Variante: „Wer hat denn am 30. Juni Geburtstag?”, fragte der Gynäkologe in einer Berliner Klinik in den Warteraum. Ich erhob mich und musste lächeln. Mal sehen, ob noch jemand aufsteht, dachte ich bei mir. Nein, ich war die einzige. Mein Geburtstag ist auch eine Zahl, ich weiß. Auch hier könnte es Dopplungen geben, wie übrigens auch bei Namen – auch das habe ich schon erlebt, keine Frage. Trotzdem fand ich das äußerst charmant.

Die Wirkung macht den Unterschied

Natürlich weiß ich, dass meinem Namen grundsätzlich eine Nummer hinterlegt ist. Das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist die Botschaft, die damit transportiert wird – die Distanz zum Patienten, auch wenn das vielleicht so nicht gewollt ist und eine völlig pragmatische Überlegung dahintersteckt. Die Wirkung macht den Unterschied, gerade bei einem Erstgespräch.

Dieser Beitrag ist auch bei DocCheck erscheinen: Hallo, ich bin Patient Nummer 740354 – DocCheck

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