KommunikationNeuigkeitenPodcast

Ein Gespräch mit der Autorin Susanne Thiem für den Podcast Nellas Neuaufnahme

Wenn das K-Wort sprachlos macht. Folge 46.

Das Transkript zum Talk: #46 – Wenn das K-Wort sprachlos macht. – Zellenkarussell

Nella
Der Titel dieser Folge „Wenn das K-Wort sprachlos macht.“, hat mehrere Gründe und die hängen alle mit meiner heutigen Gästin, mit Susanne Thiem zusammen.

Sie ist nämlich frischgebackene Autorin und hat am 4. Februar, passend zum Weltkrebstag, ihr Debüt herausgebracht: „Krebs ist kein Small Talk – Worte finden, wenn sie fehlen.“ Sie sagt, sie wollte dieses Buch nicht schreiben, sondern sie musste dieses Buch schreiben. Über ihre Beweggründe und den Weg dahin sprechen wir und wir sprechen auch darüber, warum denn die Kommunikation so verdammt schwierig ist, wenn die Krebsdiagnose ins Leben kracht. Jetzt sage ich aber erst mal herzlichen Glückwunsch, liebe Susanne, zu deinem Debüt und natürlich herzlich willkommen hier in Nellas Neuaufnahme.

Susanne
Danke, liebe Nella. Herzlichen Dank für die Einladung und ich freue mich ja, dass ich hier sein darf.

Nella
Ja, wir sind ja thematisch auch sehr nah beieinander. Deswegen finde ich das besonders spannend, dass wir beide uns hier heute darüber unterhalten. Deine Krebsdiagnose, eine Brustkrebsdiagnose, die, wie ich jetzt von dir hören musste, sehr, sehr schnell und aggressiv abgelaufen ist, war 2012. Das ist ja nun schon ein bisschen her und da liegt die Frage natürlich nahe, musstest du erst mal durch diese Katharsis durch, dass du gesagt hast, okay, die Zeit ist jetzt reif für dieses Buch? Oder anders gefragt: Wann ist überhaupt dieser Wunsch entstanden, darüber ein Buch zu schreiben? Der kommt ja nicht sofort.


„Das ist hier alles so unwirklich. Ich komme mir vor wie im falschen Film. Ich glaube, darüber muss ich mal ein Buch schreiben.“

Susanne
Das stimmt. Es stimmt schon ein Stück weit, dass meine Erkrankung Auslöser für diesen Wunsch war, ein Buch drüber zu schreiben. Und zwar, das steht auch in meinem Klappentext drin, habe ich ja auch gesagt, ich musste sozusagen erst Krebs haben und der Krebs hat die eigentlich ein Leben lang zum Schweigen gebracht, bis ich ihn selber hatte.

Das hat einfach auch damit zu tun. Ich hatte, wie du richtig gesagt hast, 2012 habe ich meine Brustkrebsdiagnose durchgemacht und ich erinnere mich noch gut, dass ich, ich glaube, das war so, nach der zweiten Chemotherapie saß bei meinem Onkologen im Zimmer und wir waren gerade dabei, so ein bisschen die letzten Nebenwirkungen durchzusprechen, die nächste Therapie und mir das alles noch so … Das war so eine Phase.

Ich war zwar schon irgendwo so drin in diesem neuen, sage ich mal, Krebsalltag in Anführungszeichen, diesen neuen Rhythmus. Und gleichzeitig habe ich aber irgendwie so einen Moment gehabt, wo ich gesagt habe: „Das ist hier alles so unwirklich. Ich komme mir vor wie im falschen Film. Ich glaube, darüber muss ich mal ein Buch schreiben.“ Und mein Onkologe war da durchaus immer sehr unterstützend in solchen Ideen Ja, da war das erst mal so eine wilde Idee.

Und tatsächlich habe ich aber relativ frühzeitig schon auch während der Therapie angefangen zu schreiben, auch für mich als Entlastung tatsächlich, und bin in der Zeit der akuten Erkrankungen – das ist eigentlich eine relativ eindrückliche Geschichte, ich will nicht sagen lustige Geschichte, aber doch ein Stück weit …

Ich habe häufig auch schlaflose Nächte gehabt. Es waren auch ein bisschen Begleiterscheinungen der Erkrankung und der Nebenwirkung, dass ich halt gerade auch so durch diese künstliche Menopause, in die ich da versetzt wurde, halt häufig Schlafstörung hatte.

Mit Charlotte Link fing es an.

Und ein Mittel sozusagen, wieder einzuschlafen, war, Hörbuch zu hören. Das habe ich dann auch mit meinem Mann dann immer so ein bisschen parallel, haben wir dann ein Hörbuch gehört und ein Hörbuch war dann tatsächlich Charlotte Link, der Beobachter.

Gut, ich gebe zu, es ist vielleicht nicht unbedingt was zum Einschlafen, das Genre, aber es war total spannend, weil diese Anfangsszene von Charlotte Link, die hat mich an eine Szene erinnert in der. Und zwar geht es ja bei ihr da auch beim Beobachter darum, da beschreibt sie eine Szene mit einer Frau, die in dem Schlafzimmer ist und bemerkt, dass irgendjemand im Haus ist, also wer das Buch kennt, und es sind bestimmt viele, die wissen, wie diese Szene da stattgefunden hat.

Und der Punkt war aber, dass ich dann da lag und gedacht habe: „Hey, genau diese Szene hast du mal geschrieben, als du sieben Jahre alt warst oder vielleicht acht, auf der Schreibmaschine von meiner Mutter.“ Und das ist kein Witz, weil ich habe dann zu meinem Mann gesagt: Charlotte Link hat mir mein Buchidee geklaut, hat sie natürlich nicht. Ich glaube, sie konnte gerade auch dieses Genre viel besser bedienen, als ich das hätte machen können.

Nichtsdestotrotz kam da so dieser erste Gedanke wieder, während der Krebserkrankung: „Hey, vielleicht kann ich ja wirklich ein Buch schreiben.“ Also vielleicht ist ja diese Leidenschaft auch fürs Schreiben tatsächlich, die lag da schon in mir sozusagen. Und so bin ich dann eigentlich wirklich dazu gekommen, dass ich gesagt habe: Okay, was für Leidenschaften hast du denn eigentlich? Das war so ein bisschen Ressourcenaktivierung auch während der Therapie. Da gehörte das Klavier spielen dazu, da gehörte aber auch eben das Schreiben dazu, was mir wirklich auch in der Verarbeitung ein Stück weit geholfen hat.

Schreiben und verwerfen. Wieder anfangen. Dranbleiben.
Der Gedanke „Das will keiner lesen.“

Susanne
Und ich habe dann lange, ich sage mal, vor mich hingeschrieben, aber wirklich auch dann irgendwann mit dem Vorsatz ein Buch zu schreiben. Bin dann auch mal irgendwann zu einem Kurs gegangen, wie schreibt man ein Buch, so ein bisschen so zum Thema Aufbau und habe dann eigentlich immer so weitergeschrieben.

Das Ganze ist mittlerweile schon 13 Jahre her Und das Buch, was wir jetzt sozusagen, was ich jetzt auf den Markt bringen durfte, das habe ich vor drei Jahren angefangen zu schreiben. Also mir hat sozusagen das Schreiben immer wieder an meiner Geschichte – und das habe ich in unterschiedlichen Varianten versucht, unterschiedliche Romane, die immer so halbfertig jetzt in meiner Schublade liegen –, hat irgendwie mich immer ein Stück wieder weitergebracht und irgendwann kam ich im Schreiben der Romane immer wieder an einen Punkt, wo ich gemerkt habe: „Oh nein, das ist nicht gut genug, das will keiner lesen, und habe es dann wieder weggelegt und dann kam wieder der nächste Anlauf.

Nella
Ja, der innere Kritiker, der immer wieder so gerne zitiert wird.

Susanne
Genau, der war bei mir exorbitant groß, aber auch immer so dieses „Ich kam immer wieder, da dieses: „Über Krebs spricht man nicht.“ und „Das ist nicht gut genug.“ So immer wieder. Und dann bin ich tatsächlich dann nach längerer Zeit in einem Gespräch mit meinem Mann – das ist auch das, womit mein Buch ja auch beginnt – darauf so ein bisschen gestoßen auf diese Situation, warum ich vielleicht auch diese Romane abgebrochen habe.

Das war nämlich immer so eine Situation, wo ich dann gemerkt habe: Okay, du gehst jetzt so gedanklich schon mal so zum Thema Veröffentlichung und ich glaube, da ist so unterbewusst bei mir ganz viel abgelaufen. Da ist unterbewusst ganz viel passiert im Sinne von, dass dieser Glaubenssatz hochgespürt wurde. Über Krebs spricht man nicht.

Die Furcht vor der Veröffentlichung

Nella
Na ja, ich meine, das ist ja schon was anderes, darüber mit sich oder darüber zu schreiben, zum Beispiel Tagebuch zu schreiben und dann die Idee zu haben, das zu veröffentlichen. Und ich weiß von einer Ghostwriterin, die ich auch übrigens mal im Podcast hatte, dass sie … Das sind natürlich manchmal auch sehr, sehr schwierige Themen, die ihr dann zugetragen werden, worüber sie dann eben schreibt im Namen des anderen oder der anderen und dass sie sagt: Ja, der Punkt der Veröffentlichung und das noch mal zurückgehen in den Schmerz, das ist eben diese Schwierigkeit und ganz viele lassen dann ab davon. Es gibt ganz wenige, wo es dann zum finalen Werk tatsächlich auch kommt.

Und deswegen hat sie auch den Rat formuliert: „Schreibe ohne den Gedanken auf eine Veröffentlichung.“, was ich sehr, sehr sinnvoll fand. Damit nimmst du dir den Druck erst mal raus. Falls das jemand jetzt hier hört, der gerade auch vielleicht auch schon länger darüber nachdenkt, auch seine Geschichte mal zu Papier zu bringen, schreib es erst mal für dich und dann kannst du gucken, was daraus wird.

Aber wenn du da mit der Veröffentlichung, mit dem Veröffentlichungsgedanken daran gehst, wird schwierig. Aber das, was du du sagtest, mit dieser Eingangsgeschichte mit deinem Mann. Daraus ist ja dann auch der Titel entstanden, wenn ich das richtig verstanden habe, mit dem Small Talk.

„Der Titel: ‚Krebs ist kein Small Talk.‘ kommt nicht von mir.“

Susanne
Ja, genau. Exakt. Der Titel, man könnte meinen, der kommt von mir, der Satz Krebs ist kein Small Talk. Der kommt aber tatsächlich von meinem Mann. Und zwar, es war da eine Situation, die ich hatte, da war ich so circa acht Jahre raus aus der Therapie. Man könnte auch eigentlich meinen in einem normalen, wieder funktionierenden Leben.

Ich hatte auch tatsächlich jetzt keine großen Nachwirkungen mehr aus meiner Therapie. Ja, und ich hatte dann aber eine Situation, da war ich in einer neuen Arbeitsstelle und kam mit meiner Kollegin, mit der ich da in einem Büro gesessen habe, so nach ein paar Monaten dann so ein bisschen mehr in Kontakt, wie das denn so ist. Man lernt sich dann kennen und dann sprechen wir so ein bisschen: „Wie geht’s dir? Wo kommst du her? Was hast du gemacht?“

Und da war dann natürlich bei mir immer so diese Situation im Lebenslauf, von meiner Geschichte zu erzählen. Bei mir ist es halt auch beruflich so, dass ich natürlich komme aus der PR, ich komme aus der Kommunikation und hatte nach meiner Erkrankung beruflich, bin ich in ein Onkozentrum gegangen, in die klinische Forschung sozusagen. Und das war natürlich schon immer so ein Thema, wo natürlich immer jeder zurückgefragt hat: „Ja, wie kommst du denn von einer internationalen PR-Agentur in die Onkologie?

Und das war immer so ein Moment, wo ich mich immer fragen musste: Sage ich jetzt die Wahrheit? Also sprich, konfrontiere ich mein Gegenüber mit dem Thema Krebs und meiner Krebsgeschichte oder denke ich mir halt irgendwie was Schönes aus? Und ich habe mich tatsächlich ganz lange in meinem „Nachkrebsleben“ für „Ich denke mir mal was aus, damit ich bloß dieses Thema nicht zur Sprache bringe.“, entschieden und habe aber über die Jahre hinweg gemerkt, dass mich das total nervt, so dass ich halt wirklich gesagt habe: „Das gehört doch zu mir und ich möchte das doch irgendwie auch erzählen.“

Das K-Wort bringt die Kommunikation ins Stocken

Nella
Weißt du, das ist ja auch so ein bisschen wie diese Geschichte: Jetzt muss es aber auch mal gut sein, das mit deinem Krebs. Das ist so ein Satz, den ich bekommen habe. Einerseits richtig, andererseits aber auch falsch, weil ich kann ja das nicht loslösen von mir. Es ist ja ein Teil von mir. Ja, es ist halt, wie sie immer so schön heißt, es ist ein Prozess. Also dass du am Anfang damit auch so ein bisschen fremdelst, das auch immer wieder zu sagen und auch andererseits dann wieder rauszukommen aus dieser Rolle eines Krebspatienten, einer Krebspatientin, ist ja auch ganz wichtig für die Genese.

Ich sage zum Beispiel sehr gerne, dass ich Cancer-Survivoren bin, weil ich merke, dass das was mit mir macht. Aber dieses nach außen, das kann ich auch sehr gut nachvollziehen. Letztes Jahr habe ich zum ersten an so einem Frauenbusiness Lunch teilgenommen und da gibt es dann immer auch so Elevator Pitches, wo du dich dann vorstellst.

Und dann geht das von Immobilienbranche bis hin natürlich Coaching, Heilpraktiker sind auch dabei oder so. Und dann komme ich und dann sage ich: „So, jetzt geht es ans Eingemachte. So habe ich am Anfang angefangen und habe dann gesagt: „Ich bin Bloggerin, ich schreibe über das Thema Leben nach einer Krebsdiagnose.“

Und davon bin ich aber abgekommen, weil ich gemerkt habe, bumm. Also die Stimmung war zack, im Keller. Betretenes Schweigen und ich bin dann dazu übergegangen zu sagen: „Ich setze mich für die Patientensichtbarkeit und Kommunikation ein.“ Und das ist was ganz, ganz anderes. Da kommst du ganz anders an dieses Thema ran. Und deswegen verstehe ich auch, dass das für andere wie so ja, du kriegst so ein Brett vom Kopf, wenn du sagst. Ja, ich hatte übrigens Krebs.

„Man kann für eine Millisekunde die Ameisen husten hören.“

Susanne
Genau, da sind wir bei dem Punkt, was du sagst, mit dem Wort Krebs. Eigentlich kennst du, Survivor ist ja erst einmal das Gleiche in grün, sage ich jetzt erst mal. Es ist bloß Englisch, aber das Wort Krebs ist halt, glaube habe ich einfach in unserem Sprachgebrauch immer wirklich noch so dieses Schreckensgespenst.

Und das war auch genau bei diesem Gespräch mit meiner Kollegin auch so, dass ich so ein bisschen so „Ha ha ha, so ein bisschen aus dem Lustigen heraus: „Ich kannte halt den Onkologen, ich hatte halt mit 31 Brustkrebs. Und das war genau, wie du es sagst, die Stimmung. Ich nenne das immer so, ich habe, glaube ich habe gesagt, man kann für eine Millisekunde die Ameisen husten hören.

Nella
Ja, sehr süß.

Susanne
Und du siehst im Gegenüber ein Universum an Fragen, Ängsten, Wie reagiere ich? Was sage ich? Und das ist immer ein für uns Betroffene auch ein Wagnis. Das muss man ganz klar sagen, weil wir nie wissen, wie kann unser Gegenüber mit diesem Thema umgehen? Auf was für eine Matte fällt das beim Gegenüber, so zu sagen, dieses Wort.

Und das ist ja, glaube ich, eben genau das, wovon wir stehen und auch, was, glaube ich, die Intention von diesem Buch ist, weil ich dann auch gemerkt habe, so dieses Schweigen, was da war, das hat mich total innerlich beschäftigt, aufgeregt, geärgert hatte ein Stück weit halt auch, weil für mich war zu dem Zeitpunkt nach acht Jahren krebsfrei im Leben, sage ich mal so, war das Alltag.

Auch das Reden über die Erkrankung war Alltag und diesem Ärger im Bauch bin ich dann auch abends zu meinem Mann gegangen und habe ihm von dieser Situation erzählt. Und er sagte „Dann ja, wundert dich doch nicht. Krebs ist kein Small Talk.“ Da sagt er dann so: „Ja, wenn du jemanden damit konfrontierst, dann musst du ihn langsam da ran führen.“ Natürlich ist Krebs kein Small Talk. Da sind wir uns einig drüber. Nichtsdestotrotz habe ich natürlich auch gemerkt: „Okay, warum tangiert mich das Schweigen so vom Gegenüber erst mal?“


Angst vor Self-Fulfilling Prophecy?

Nella
Ich würde sogar noch ergänzen: „Es soll auch keiner werden.“

Susanne
Nein, das stimmt.

Nella
Weil das ist tatsächlich auch ein schwieriges Ding, weil damit eben ganz, ganz viele Sachen hochploppen, die eben auch Tabu sind, zum Beispiel eben auch die Endlichkeit. Und das, was ja da auch so hochkommt, ist ja dann, das reflektiert ja immer mit dir selber, dass du dann auch selber darüber nachdenkst: „Oh, wie wäre ich denn?, und so weiter. Das habe ich hier auch erlebt so in der Nachbarschaft, gerade mit Frauen meines Alters, die mit mir nicht reden wollten. So nach der Motto: Nachher ist das noch ansteckend. Also im Sinne von, der Gedanke ist gepflanzt, dann passiert das mir auch.

Die Männer dazu, die haben immer ganz offen mit mir gesprochen. Es war wirklich sehr interessant, das so zu beobachten. Die hatten auch keine Probleme, Fragen zu stellen. Und die Frauen, die waren dann in so einer Betroffenheitsblase drin, dass sie dann dachten, so ein bisschen vielleicht wie Self-Fulfilling Prophecy, dann krieg’s vielleicht auch gleich. Und das schwang da so mit.

Aber jetzt sind wir schon wirklich total mittendrin, sehr, sehr lustig, wie sich das Gespräch jetzt entwickelt, was ich eigentlich so anders geplant hatte. Aber so ist das eben.

Die erste Begegnung mit der Sprachlosigkeit

Nella
Was ich aber festgestellt habe, was heißt „aber“, ich habe es festgestellt, durch dein Buch zieht sich diese Sprachlosigkeit ja wie ein roter Faden. Wo war denn da diese erste Begegnung mit der Sprachlosigkeit gegenüber diesem Thema?

Susanne
Die erste Begegnung, die liegt tatsächlich ganz weit zurück, nämlich schon in meiner Kindheit, in den 80er Jahren auf dem Lande, weil ich im Alter von sieben Jahren konfrontiert wurde mit dem Tod einer Freundin und die ist an einem Hirntumor verstorben.

Ich erinnere mich da sehr an diese Situation oder an die Situation mit ihr, da war, sage ich mal, das Thema Krebs noch kein Thema. Auf der anderen Seite hat sie auch die ganze Zeit schon eine Mütze getragen, also sie hatte auch keine Haare.

Und das war für mich als Kind erst einmal so die Erkrankung per se oder ich sage mal, das Gesicht Erkrankung war für mich als Kind erst mal vollkommen nebensächlich, weil ich kannte sie nicht anders und das hatte für mich auch erst mal noch keine Bedeutung. Und die Bedeutung oder ich sage mal so, das Schreckensgespenst, was eigentlich entstanden ist tatsächlich, war natürlich dann ihr früher Tod, ihr Verlust, dem Leichenwagen, den ich dann auch leider direkt gesehen hatte, mal eines Nachmittags und dann gepaart auch mit der, ich sage mal, Sprachlosigkeit der Erwachsenen in dem Fall, dem ganzen Umfeld.

Da waren so viele Gefühle, so viel Trauer, viele Zweifels

Susanne
Dass ist eigentlich so das, was mit mir oder ich hatte sehr viele Fragen, die ich nicht beantwortet gekriegt habe, – viele Gefühle, viel Trauer, viele Zweifel, viel auch tatsächlich auch so Schuldgefühle, die mir niemand genommen hat, weil man mit mir einfach gar nicht drüber geredet hat, was ist da passiert, wie geht das jetzt vielleicht dir damit oder so was.

Das war natürlich auch, muss man auch sagen, in den 80ern war Krebs natürlich noch mal ein viel größeres Tabu und gerade auch, glaube ich, beim Thema Kinder sind wir uns einig, dass das, finde so eine schmerzhafte Erfahrung ist, die einfach nur sprachlos eigentlich auch machen kann.

Nella
Weißt du, das Ding ist ja vielleicht auch, dass man immer denkt, man kann den Kindern das nicht zumuten. Auch da war es ja nicht nur das Thema Krebs von anderen, sondern auch die Reife der Kinder war noch nicht so weit akzeptiert, wie es jetzt heute ist. Da denke ich manchmal: Man, die Kinder werden schon sehr, sehr früh an Themen herangeführt, wo ich manchmal denke: Wuh, wuh, wuh. Ist vielleicht doch ein bisschen schwierig oder ein bisschen zu früh.

Kinder interessieren sich auch für den Tod

Nella
Andererseits habe ich gelernt, auch über einen Talk hier in diesem Rahmen mit einer Religionslehrerin, die mir erzählt hat, dass Kinder gerade in dem Alter von sieben, acht haben die so ein Fenster, wo sie sehr interessiert sind am Thema Tod und Sterben.

Die machen dann auf und dann wollen die alles wissen, sie ist mit den Kindern dann auch auf den Friedhof in ihrem Dorf gegangen und da haben sie darüber geredet und die machen auf, dann reden die darüber und dann ist gut. Diese Offenheit und diese Unbeschwertheit, mit dieser Thematik umzugehen: Ach, so ist das. „ja, okay, dann können wir jetzt weiterspielen. Das hat keine große Präsenz. Das ist nur mal so eine Frage: Wie kann das sein? Und das soll dann geklärt werden.

„Wenn Kinder Fragen stellen, sind sie bereit für die Antwort.“ – Professor Gottschling

Nella
Du hast ja auch einen Experten dazu eingeladen. In deinen Büchern tauchen, glaube ich, vier Experten und Expertinnen auf, unter anderem ein Professor aus dem Saarland.

Susanne
Gottschling.

Nella
Genau, mit dem du darüber sprichst. Was hat er dir denn mitgegeben für Tipps?

Susanne
Was aus dem Interview mir am meisten in Erinnerung geblieben ist, Das finde ich einen super Tipp: Wenn Kinder Fragen stellen, sind sie bereit für die Antwort.

Ich glaube, das ist schon etwas, das nehme ich mir auch bei meinem Sohn jetzt auch immer mit, dass wenn er fragt, dann möchte er eine Antwort haben und diese Antwort darf so offen und ehrlich wie möglich sein. Er ist Kinderarzt, auch Kinderschmerztherapeut und ist Leiter eines Palliativzentrums im Saarland und ist da extrem, ich sage mal, Fürsprecher für die Kinder und für die Bedürfnisse der Kinder in einem offenen Umgang mit dem Thema Krebstod und Endlichkeit.

Er hat eben auch gesagt, dass Kinder, wie wir es auch schon eben gerade gesagt haben, extrem feine Antennen haben, also sie viel mehr mitkriegen, als wir als Erwachsene vermuten tatsächlich. Und dass, wenn Fragen da nicht beantwortet sind – er hat das auch so schön gesagt –, dass eigentlich dann multiple Verluste entstehen.

Nicht nur durch den Verlust vielleicht einer geliebten Person, eines Elternteils, eines Geschwisterteils, einer Freundin, wie auch immer, sondern auch der Verlust an Vertrauen, weil Fragen bleiben, die nicht geklärt werden und die Fragen sich das Kind natürlich selber beantwortet und ganz häufig – und das ist ja auch das, was ich sozusagen in meiner Geschichte auch so bestätigt gesehen habe Kinder selbst Schuld geben an gewissen Dingen und sich dann auch fragen: Wie schlimm ist es? Und warum redet man nicht mit mir? Warum traut man mir das nicht zu, damit umzugehen?

Nella
Das Unaussprechliche wird dann quasi zur Belastung und dann passiert dieser Umkehrschluss. Das ist ja auch oft bei Kindern von geschiedenen Eltern, dass sie sich dann auch immer die Schuld dafür geben, dass die Eltern eben nicht mehr zusammengeblieben sind. Deswegen ist es wirklich wichtig, auch mal abzuklopfen, inwieweit die Antenne scharfgestellt sind.

Also die Kinder nicht zu überfordern, aber ich finde auch, das ist wahnsinnig schwierig, das so hinzukriegen. Ich habe ja drei Kinder und die waren alle unterschiedlich alt. Jeder ist damit anders umgegangen und man muss dann immer wieder die Sensoren so aufstellen und gucken, wann passt was.

Was ich jetzt aber auch daraus höre, ist so ein bisschen, ja, im Grunde war das Schreiben darüber oder diesen Experten ja auch noch mal zu holen, so eine kleine eigene Therapie mit der Thematik aus der Kindheit heraus.

Mit dem Buch schreiben hat sich Susanne ihre eigene Therapie verordnet.

Susanne
Tatsächlich. Also ich glaube, das Buch zu schreiben, jetzt über die unterschiedlichen Stationen und die Experten und Expertinnen auch dazu zu interviewen. Da habe ich mir meine eigene Therapie tatsächlich verordnet. Das kann ich nicht anders sagen. Und deswegen finde ich auch gerade die Bereiche, wo ich da mit den Expertinnen sprechen durfte, so kostbar, für mich ganz persönlich, aber auch natürlich für die Leserinnen und Leser hoffentlich, weil da so viele schöne und wertvolle Tipps auch und Impulse gegeben werden, ich sage mal, die Schwere von manchen Situationen zu bewältigen oder auch abzuschließen.

Genau, weil, wie du auch gesagt hattest, es geht beim Thema Krebs zwar nicht nur und nicht ausschließlich, aber es geht natürlich auch um das Thema Endlichkeit und das können wir nicht wegdiskutieren. Ich glaube, es ist aber trotz alledem auch wichtig zu sehen, ja, das Thema Endlichkeit, das ist vielleicht jetzt noch mal ein Separates, was wir uns anschauen dürfen.

Es geht um Endlichkeit, aber und vor allem um das Leben.

Es geht aber vor allem erst einmal um das Leben, finde ich. Das Leben auch mit diesen Herausforderungen der Erkrankungen. Und ich finde es so schade, und ich glaube, das ist auch so meine Botschaft dabei, wenn das Wort Krebs nur mit dieser Endlichkeit in Zusammenhang gebracht wird und es sozusagen in allem es so erschwert, im Leben zusammenzukommen und sich vielleicht in das soziale Umfeld von den Betroffenen, von der Betroffenen entfernt, weil sie Berührungsängste dann mit dem Thema Tod haben.

Das ist ja das, was häufig dahinter steht. Und ich glaube, das ist etwas, was so mein innerster Antrieb auch gewesen ist, tatsächlich dieses Buch zu schreiben.

Nella
Was wir, glaube ich, auch oft vergessen oder vernachlässigen, ist, dass die Kommunikation das eine ist und auf der anderen Seite sind es ja auch die Gefühle, die da mitschwingen. Und die dürfen ja auch sein und die sind ja auch sehr unterschiedlich, wie wir alle Menschen natürlich sehr, sehr unterschiedlich sind. Und ich glaube, manchmal hakt es auch daran, dass wir gar nicht wahrnehmen, in welchem Gefühl wir denn jetzt gerade sind. Schnell, wieder weg, damit das Thema nicht so nahe an mich rankommt.

Und was mir noch einfiel dazu, ich hatte auch mal ein Gespräch mit einer Paartherapeutin auch im onkologischen Bereich und die sagte so ganz süß und sehr, sehr treffend: „Zusammen zum Arzt zu gehen ist keine Paarunternehmung.“ Wie du eben sagst, also Krebs ist ja jetzt nicht das das Dauergefühl. So. dazwischen findet ja Gott sei Dank auch noch Leben statt und dass man nicht sagt: Okay, ich mache mit meinem Partner viel, wir gehen viel zum Arzt. Das ist es nicht.

„Die Verbindung zwischen Menschen zu stärken, ist das Wesen der ‚Gewaltfreien Kommunikation‘. „

Ich will jetzt mal kurz den Bogen kriegen und zwar zu einer etwas technischen Seite der Kommunikation, und zwar zur gewaltfreien Kommunikation. Damit hast du dich ja sehr intensiv beschäftigt und beziehst das ja auch so ein bisschen ein. Vielleicht kannst du uns mal mitnehmen. Es ist natürlich die Frage: Was hat gewaltfreie Kommunikation im Gesundheitswesen denn verloren? Ist die Frage, die sich mir gleich so aufdrängt. Und was ist genau gewaltfreie Kommunikation?

Susanne
Wo das jetzt in einen Podcast zu passen, ist durchaus eine Herausforderung.

Nella
Zwei Sätze.

Susanne
Aber ich versuche es in zwei Sätzen, genau. Nein, das ist tatsächlich so: Ich habe mich der gewaltfreien Kommunikation zugewendet, auch mit diesem Buch. Also auch in dem Buch gehe ich mit diesem Ansatz ran. Und der erste Ansatz ist, und das finde ich eigentlich ganz schön, zu sehen, dass eigentlich jeder Mensch zu jedem Zeitpunkt das Beste gibt, was er in dem kann. Und wenn wir das übersetzen in so eine Situation, wo so eine Krebsdiagnose fällt, dann finde ich, dann wird das erst mal auch leichter zu verstehen und raus aus dem Vorwurf zu kommen.

Also die gewaltfreie Kommunikation ist ja eine Kommunikationsform, die sehr darauf abzielt, die Verbindung zwischen Menschen zu stärken, also die Beziehung quasi zu stärken. Und sie legt da sozusagen den Fokus darauf, eben auf empathische Gesprächsführung und eben rauszukommen aus irgendwie so „Schuld“ und „Das ist richtig“ und „Das ist falsch“.

Ich finde sowieso, und das ist auch so dieser Ansatz, den ich mit diesem gesamten Buch auch habe, es gibt kein Richtig und kein Falsch für mich in einer Krebskommunikation. Natürlich gibt es Worte und Sachen, wo wir einfach sagen, okay, das wirkt so und so und das wirkt eher vielleicht trennend an der Stelle und auf so was dürfte man vielleicht verzichten.

Nichtsdestotrotz möchte ich mein Gegenüber nicht dafür verurteilen, dass das irgendwie nicht besser konnte. Und das ist, glaube ich, so mal dieser Grundgedanke, warum ich gesagt habe, ich möchte mich eigentlich in die unterschiedlichen Perspektiven der Betroffenen … Es ist nämlich ja nämlich nicht immer nur die betroffene, krebserkrankte Person.

Es ist ein ganzes Umfeld an Freunden, an Familienmitgliedern. Und auch, wenn wir da den Bogen spannen, weil du gesagt hast, das Gesundheitssystem eben auch Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonen, alle im Gesundheitssystem tätigen in diesen onkologischen Zentren, haben eine riesen Herausforderung und bringen ja auch ihre Geschichte mit. Und das war eigentlich so diese Intention, zu sagen, okay, mit diesem Ansatz jeder.



„Jeder Mensch gibt zu jedem Zeitpunkt das Beste, was er kann.“

Er gibt in jedem Moment das Beste, was er kann, im Punkt Kommunikation, war eigentlich so dieser wichtigste Punkt, sage ich mal, sich zu widmen. Und ansonsten die gewaltfreie Kommunikation, du hast das vorhin schon angesprochen, ist ja grundsätzlich bei sich zu bleiben und die vier Schritte: Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis, Bitte. Und zwar ist das jetzt, wenn ich das ganz kurz zusammenfasse, dass ich halt wirklich mal schaue: Okay, was beobachte ich jetzt eigentlich gerade in diesem Moment? Und häufig ist da schon dieser erste Punkt, wo wir sehen, ich beobachte nicht nur wie durch eine Kamera, sondern eigentlich.

Das fällt ja immer auf meine persönliche Bewertungsmatte, so sage ich das halt, dass ich immer, wenn ich etwas sehe, es ganz schnell für mich irgendwie versuche einzuordnen, das ist auch erst mal normal und natürlich, aber zu sehen, dass das, was ich sehe, nicht die ultimative Wahrheit ist, sondern meine persönliche Wahrheit, meine Bewertung, meine Interpretation, und zu gucken, woher kommt das eigentlich vielleicht?

Es geht viel über das Gefühl.

Und dann eigentlich weiterzugehen zum Herzen, zum Thema: Wie fühlt denn sich das jetzt gerade an, wenn ich das sehe oder wenn ich jetzt gerade von einer Krebsdiagnose gehört habe von dem Gegenüber? Es macht mich jetzt vielleicht sprachlos, es macht mich hilflos oder ich fühle mich hilflos, oder das wahrzunehmen. Das ist der zweite Schritt, zu gucken: Was ist denn das Bedürfnis darunter? Das Bedürfnis ist eigentlich vielleicht Sicherheit oder vielleicht auch ein Hilfebedürfnis, Hilfsbereitschaft.

Gefühle in Sprache übersetzen.

Das dann auszudrücken in Sprache: Was brauche ich gerade? Wie fühle ich mich gerade? Das ist etwas, wo ich dann rauskomme in „Du-Formulierung“. Du hast das gesagt, das und das und du bist schuld oder das war nicht richtig, sondern ich bleibe bei mir und die gewaltfreie Kommunikation hilft mir, bei mir zu bleiben und mich mitzuteilen in dem, wie es mir geht und womit das zu tun hat. Und dadurch trennt sich das, dass man rauskommt aus diesen Schuldzuweisungen.

Nella
Das ist mit den vier Schritten, das werde ich auch noch mal in den Shownotes verschriften. Ich will, dass das noch mal sichtbar ist. Das finde ich nämlich sehr, sehr hilfreich. Was ich aber auch feststelle, ist, es heißt ja immer so schön: Krebs ist für alle Neuland. Und wir wachsen natürlich auch da so rein, beide Seiten oder alle Seiten im Grunde. Und deswegen ist es immer ganz gut so einen Zwischenstopp zu machen und zu gucken: Wo stehe ich denn jetzt in meiner Entwicklung oder in welcher Phase befinde ich mich denn?

Also ich kann auch ganz genau sagen, in welcher Situation ich mich befunden habe, wenn ich auf bestimmte Äußerungen gucke, die mir so zugeworfen worden sind – am Anfang. Und wenn ich die jetzt höre, reagiere ich da ganz anders. Zum Beispiel dieser Standard-Satz: „Die Schwester meiner Freundin hatte das auch und ist vor drei Monaten dran gestorben.“ So, die gibt es ja in verschiedensten Varianten.

Und am Anfang war ich davon so sprachlos, dass ich darauf gar nichts sagen konnte. Und dann habe ich gelernt, damit umzugehen und habe auch gemerkt, dass es so ein Reflex ist für den anderen, das einzuordnen und konnte dann auch gar nicht mehr so böse sein darüber, weil ich dachte, das ist auch so ein Grundbedürfnis für Menschen, das einzuordnen. Wo stehe ich denn jetzt hier in diesem ganzen Kontext?

Und wenn ich dann gesagt habe: „Du, das verstehe ich, dass du das sagst, aber überleg dir doch mal, wo mir das jetzt hilft in meiner konkreten Situation jetzt und hier. Das belastet mich doch eher.“ Und wenn du da in der Lage bist, das so aufzubrechen, dann ist das auch nicht moralinsauer und auch nicht aggressiv, sondern das ist mitgedacht.

Aber das schaffst du erst, nachdem du schon eine Zeit des Weges gegangen bist. Also ihr Lieben da draußen, seid geduldig mit den anderen und auch mit euch selbst. Das kann schon eine Menge bewirken.

Du kennst das Gesundheitssystem in der Schweiz. Was machen die anders, vielleicht besser?

Nella
Ich habe jetzt noch eine Sache, die mich auch sehr interessiert hat. Du hast PR gemacht, du hast ja auch Kommunikation studiert und bist dann im Zuge dessen für deinen Job in die Schweiz gegangen. Und in der Schweiz hast du dann 2012 eben deine Diagnose bekommen.

Was ich mich natürlich frage, weil, wenn man sich mit der Schweiz beschäftigt und auch mit der Bürgerversicherung, ist das ja alles ein bisschen anders und auch überhaupt das Miteinander sehr, sehr basisdemokratische auch ausgerichtet. Wie war das, wenn du mal so vergleichst? Du hast ja inzwischen auch einiges hier in Deutschland mitbekommen, wie es anderen Patientinnen und Patienten ergeht oder auch im Rahmen der Nachsorge. Was läuft anders in der Schweiz als in Deutschland? Fragezeichen.

Susanne
Na gut, das sind natürlich jetzt auch nur meine Erfahrungen, aber ich erlebe die Schweiz oder die Schweizer, also erst einmal im Umgang, und da sind wir schon beim Thema Sprache, dass jetzt auch mal so im medizinischen Setting, sage ich mal, sind Ärzte und Pflegekräfte immer auch relativ schnell bis gleich per Du. Also da gibt es dieses Du / Sie nicht. Da erlebe ich doch tatsächlich oder habe ich auch tatsächlich die Leute, die in dem System arbeiten und überhaupt die Schweizer auch miteinander, schon mehr auf Augenhöhe in vielerlei Hinsicht.

Was jetzt die Behandlung angeht, ist es doch, glaube ich, tatsächlich so und ich glaube auch durch dieses, wie du gesagt hast, basisdemokratische System, dass man da sehr in der Selbstverantwortung auch ist. Natürlich hatte ich auf einer Krankenversicherung und so weiter, aber damit ging es eigentlich schon los, dass ich, als ich in die Schweiz ausgewandert bin, doch ein bisschen komisch geguckt habe am Anfang, weil ich mich meine Krankenkasse komplett selber kümmern musste.

Also da kam kein Arbeitgeber und hat gesagt: Na, wo sind Sie denn oder wo wollen Sie denn?, sondern das war ganz: Ich klappere Krankenversicherungen oder beziehungsweise Vertreter, klappere ich ab und frage und mache mich schlau, habe ich eine Grundversicherung und dann halt auch noch eine Zusatzversicherung, wenn ich das denn möchte.

Freiheit. Verpflichtung. Verantwortung.

Also man ist da sehr in der Freiheit, aber auch natürlich in der Verpflichtung und in der Verantwortung, sich selber zu kümmern. Und ich glaube, das ist etwas, was ich da sehr auch zu schätzen gelernt habe, ein Stück weit. Meine Behandlung per se lief doch, finde ich, sehr unbürokratisch. Von der Akutbehandlung kann ich natürlich in Deutschland den Vergleich nicht machen, aber ich sage mal so, da habe ich wenig mitgekriegt jetzt von den Medikamenten, die natürlich auch für mich erst mal beantragt werden mussten. Bei der Krankenkasse hat dann auch alles der Arzt gemacht.

Der Punkt war aber zum Beispiel, dass, als ich dann nach zehn Monaten raus war aus der Therapie, dass ich relativ schnell, also relativ schnell heißt dann, innerhalb von vier Wochen wieder in den Job reingegangen bin, weil eine Reha, so wie das hier in Deutschland auch, ich weiß nicht, ob das musst du mir sogar sagen, ob das automatisch so ist, dass man da einen Anschluss drauf hat? Das ist in der Schweiz halt einfach.

AHB und Reha in der Schweiz nur für Privatzahler.

Nella
Du hast einen Anspruch auf eine Anschlussheilbehandlung, so heißt das.

Susanne
Anschlussheilbehandlung, genau.

Nella
Im Rahmen, glaube ich, sechs Wochen spätestens danach.

Susanne
Genau. Und das sagte mir damals auch meine Breast Care Nurse: „Das ist in der Schweiz nicht angezeigt“, so formulierte man das da. Und das hätte ich mir privat alles leisten können und wie auch immer, habe ich aber nicht. Schon alleine auch, weil das Geld dafür tatsächlich jetzt auch bei mir anderweitig verplant war, nämlich für meine Hochzeitsfeier. Und ich glaube, das ist …

Nella
Eine Nebenbemerkung für meine Hochzeitsfeier.

Susanne
Ja, genau. Man muss priorisieren.

Nella
Man heiratet auch gerne mal während einer Krebsdiagnose heiratet. Das machen ja die meisten (und lacht).

Susanne
Ja, das war ja bei uns tatsächlich auch so, dass es mitten in die Hochzeitsplanung geplatzt ist, aber das ist so ein anderes Thema noch.

Nach drei Monaten danach besteht in der Schweiz das Recht auf eine fristlose Kündigung.

Genau, nein, es ist tatsächlich so, dass ich dann relativ schnell wieder in den Beruf zurück bin, da natürlich halt mit den Herausforderungen dann halt mit mir selber auch gekämpft habe. Ich hatte ein sehr, sehr großes Glück mit meinem Team, was ich hatte. Die haben bedingungslos meinen Platz freigehalten in der Agentur, in der ich gearbeitet habe, und das war in Bezug auf finanzielle Sicherheit und Sorglosigkeit.

Ich sage mal, wirklich auch eine Sorge weniger, weil in der Schweiz kann das durchaus auch anders laufen, dass eben bei Langzeiterkrankung der Arbeitgeber da auch. Ich will jetzt nich lügen, ich glaube, nach drei Monaten das Recht hat auf eine fristlose Kündigung. Ob das heute immer noch so ist, das müsste man gucken. Aber ich sage mal so, da ist sehr viel freier in der Arbeitsmarktgestaltung, es ist sehr viel kompetitiver.

Erwähne ich die Erkrankung im Lebenslauf?

Was mich natürlich auch ein bisschen unter Druck gesetzt hat, zu sagen: Ich gehe gleich wieder zurück in den Beruf und aber auch im Umgang, auch mit meiner Erkrankung mir zu überlegen, auch eine Szene, die ich beschrieben habe in meinem Buch, zu überlegen: Ich möchte doch jetzt eigentlich so offen, wie ich während der Erkrankung umgegangen bin. Ich bin nämlich maximal offen mit meinem Umfeld umgegangen und habe auf jeder Hochzeit getanzt quasi.

Und das habe ich mir hinterher im Berufsleben erst mal wieder verkniffen, weil mir auch eine Freundin da gesagt hat: „Na ja, überlegt dir das, ob dein Gegenüber damit umgehen kann und ob du das denn wirklich so erwähnst im Lebenslauf.“ Und das ist schon in Bezug auf Kommunikation: Wie bewegen wir uns nach so einer Erkrankung in so einem Alltag ein valider Punkt. Und ich glaube auch tatsächlich auch in Deutschland noch ein existenzielles Thema. Wie kann man sich zeigen? Natürlich.

Nella
Also diese Frage: Kann ich das sagen? Kann ich sagen, dass ich, auch wenn ich geheilt bin, mal Krebs hatte? Oder muss ich das sagen? Also da kann ich immer nur sagen: Guck darauf, was du machen möchtest in deinem Job und wie offen du sein möchtest und ob du dich da ständig verstecken möchtest. Ich würde das nicht wollen. Ich möchte dann schon mir dann dementsprechend den Job auswählen können. Bloß, nicht jeder kann das, dass man den Job dann danach auswählt, wo es passt.

Dennoch denke ich, es gibt immer noch Möglichkeiten, darüber nachzudenken. Man muss da nicht, also du musst da nicht zurück in deinen alten zerkratzten Pulli, der dir nicht mehr passt. So sage ich immer, deinen Lebenspulli. Du kannst dir durchaus einen neuen kaufen, den mal anprobieren und da mal gucken, ob das besser passt. Das hast du ja dann auch gemacht.

Weil, das mit dem Druck kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich habe auch lange in der Werbeagentur gearbeitet. Das ist ja auch ein sehr amerikanisches System. Es ist sehr viel hire and fire. Und das, was man zum Beispiel im öffentlichen Dienst hat, findet da natürlich so gar nicht statt. Dieser Leistungsdruck ist sofort da und du musst einfach performen. Entweder du performst oder du bleibst zu Hause. Diese beiden Möglichkeiten hast du.

Als Studienkoordinatorin auf der anderen Seite des Tisches – „Alter, jetzt weiß ich wirklich, wie der Hase läuft.

Nella
Und dann bist du ja auch durch deinen Arzt, so wie ich das gelesen habe, dazu gekommen, Studienbegleitung zu machen in der Onkologie. Was ich von daher auch ganz spannend finde, weil du auf der anderen Seite des Tisches quasi sitzt. Dir gegenüber sitzt jemand, der in eine Studie aufgenommen werden möchte, hast da beratende Funktion und bist aber auf der anderen Seite jemand, der, wie es immer so schön heißt, eine Krebserfahrung hat. Und da sich zurückzuhalten mit der eigenen Geschichte ist ja nicht so unbedingt leicht.

Susanne
Nein, das stimmt. Also vor allem auch, weil auch, ich sage mal, so eine Behandlungsdauer und die Behandlung, die man durchmacht. Ich weiß nicht, wie es dir ging, aber bei mir war erst mal so ein Momentum, wo ich gesagt habe: „Alter, jetzt weiß ich wirklich, wie der Hase läuft.“ Und das ist aber genau der Punkt, dass ich konnte ja nur wissen, wie es für mich gelaufen ist in dem Sinn.

Es war in dem Sinn die Stelle, die ich dann hatte, als Studienkoordinatorin in der Onkologie, gleichermaßen tolle Anstellung, aber auch eine Herausforderung. Vor allem aber auch in der Abgrenzung, wie du das so schön gerade gesagt hast. Ich habe gesagt: Okay, doch, das ist irgendwie so der nächste Schritt und das ist jetzt so der Punkt, wo ich auch beruflich sein möchte, weil das auf der einen Seite mir die Möglichkeit gegeben hat, ganz offiziell über Krebs sprechen zu dürfen.

Das Thema Krebs nicht aus dem Alltag verbannen

Susanne
Also dadurch, dass ich natürlich in der Onkologie gearbeitet habe, war das Thema Krebs Thema und so musste ich es nicht aus meinem Alltag verbannen, weil das war ja auch ein Punkt. Das Thema Krebs war so auch aus meinem privaten Umfeld, ist das natürlich immer weiter weggewichen und ich hatte kaum mehr irgendwie Berührung, es sei denn, ich war mal bei der Nachsorge, wo ich irgendwie meinem Umfeld davon erzählen konnte.

Und die Stelle in der Onkologie war dann erst einmal für mich die Möglichkeit zu sagen: „Ja, doch, das Thema ist immer noch Thema, weil es war ja in meinem Leben, in meiner ganzen psychosozialen Verarbeitung, noch Thema. Und gleichzeitig, wie du sagst, auf der anderen Seite des Schreibtisches saßen Menschen vor mir, die in meinem Fall – ich war ja dann Studienkoordinatorin – meistens einen Progress hatten, in eine palliative Situation vielleicht gekommen sind.


Mein Ratgeber „Warum sagt mir das denn niemand? Was Du nach einer Krebsdiagnose alles wissen musst.“ und mein Workbook gegen die Angst: Du brauchst – Meinen Ratgeber


„Da saß mir die personifizierte Angst gegenüber.“

Auch tatsächlich meine erste Studie, die ich betreut habe, war ein Medikament zum Thema metastasierter Brustkrebs. Und da saß tatsächlich dann eben auch eine erste Patientin, eine Frau mir gegenüber, die einen Progress hatte in ihrer Erkrankung.

Und das war für mich ganz persönlich, zum Thema Angstbewältigung war das ja eigentlich so ein bisschen die personifizierte Angst, die mir gegenübersaß, weil du natürlich immer wieder so, auch ich habe die Vergleiche irgendwie so ein bisschen gehabt, so: Okay, warum trifft es mich nicht? Oder: Was ist, wenn es bei mir so kommt? Und das habe ich da gelernt, voneinander zu trennen. Ich musste da schnell meine persönliche Angst, was mich und meine Geschichte betrifft, sozusagen separieren von meinem Gegenüber, weil das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun.

Deswegen war es, ich sage immer, so ein bisschen ein Crash-Kurs, den ich da in der Onkologie hatte, auch zum Thema Angstbewältigung, weil auf der anderen Seite ich natürlich auch durch, sage ich mal, die Einblicke in der Forschung gesehen habe, was alles entsteht an Medikamenten, an neuen Therapien, was es an Hoffnung gibt. Und das war natürlich auch wieder so dieser positive Teil.

Also es war so zum einen ein, ich sage mal, rationaler Umgang mit meiner Angst, wobei Angst ja ein Gefühl ist und nicht rational, aber das hat mir doch durchaus geholfen, mich zu konfrontieren und gleichzeitig aber zu sehen: „Hey, selbst wenn, dann gibt es noch den Schritt und den nächsten und den nächsten und den nächsten. War in vielerlei Hinsicht auch nicht leicht.

Zumal ich auch eine Patientin vor einigen Jahren sitzen hatte in einer Studie, die ich selber als Patientin tatsächlich kannte aus einem gemeinsamen „Look Good. Feel Better.“ Kurs, also aus einem Schminkkurs. Und das, glaube ich, auch sehr herausfordernd für mich war. Natürlich, ich war dann Studienkoordinatorin und gleichzeitig erkannte sie mich auch. Und dann kamen wir ins Gespräch. Also da war meine Geschichte natürlich auch bei ihr mit Gespräch, weil wir uns kannten und natürlich musste ich mich da auch fragen: Warum sie? Warum nicht ich? Ja, aber das ist eine Frage, auf die finde ich keine Antwort und ich konnte in dem Moment … stand sie im Vordergrund und stand sie im Fokus und es ging um sie.

Nella
Ja, genau. Das auch zu lernen, dem anderen die Bühne zu geben und sich eben zurückzunehmen. Das finde ich eben auch sehr, sehr wichtig. Zu sagen: Okay, da spiele ich jetzt in dem Moment keine Rolle mit meiner eigenen Geschichte, sondern hier geht es um was ganz anderes.

Mit Wissen gegen die Angst

Was ich aber auch so mithöre, ist, ja, je mehr Wissen man bekommt, desto weniger Angst bekommt man dann vielleicht auch. Weil du ja auch gesagt hast: Ich habe ja dann noch mitbekommen, was alles möglich ist, wie sich die Forschung entwickelt und so. So was finde ich ja dann auch immer sehr beruhigend, das noch mal so als Nebenbemerkung zu deiner Erfahrung in der Onkologie, was ich übrigens, ich finde das schon einen sehr mutigen Schritt, da auch reingegangen zu sein. Also, Chapeau meinerseits.

Wie nehme ich meine „Zugehörigen“ in den verschiedenen Phasen mit?

Was ich auch immer wieder feststelle, ist ja, ich nenne das immer die Kaskade der Anteilnahme oder des Mitgefühls. Am Anfang ist das so eine Art „Love-Bombing“. Du wirst ständig „angewhatsappt“, gefragt: „Dies ist das – Wie geht’s?“ Nächste Untersuchung. Dies das Ananas. Da kommst auch ja gar nicht hinterher. Ich wusste auch manchmal auch gar nichts zu sagen auf die Frage: „Wie geht’s dir denn? Weil das so komplex war, wie es mir so ging, weil ich manchmal auch gar nicht wusste, wie geht es mir eigentlich?

Es war so, boah! Es war ganz viel und dann nahm das immer mehr ab. Es wurde immer weniger. Es hat sich irgendwie so – in der PR sagt man: es hat sich so versendet. Das Thema versendet sich. Und dann kommst du eben raus, die Therapie ist zu Ende und dann kommst du in so eine Phase rein. So, jetzt ist aber auch alles wieder gut. Wir hatten ja vorhin das Thema so ins Gefühl gehen, wo stehe ich? Wie kann ich die anderen mitnehmen..

Also ich finde, diese drei Phasen, die ich jetzt gerade da angeteasert habe, dass wir als Patienten das auch so ein bisschen mitdenken, weil wir sind ja mittendrin, die anderen kriegen das ja gar nicht so mit oder das jetzt mal so auf den Weg gegeben, die auch mitzunehmen. Das ist nämlich die Kunst.

Also, eine Freundin von mir hat dann gesagt, nachdem ich … Ich hatte ja eine Stammzelltransplantation, die hatte sich dann ein halbes Jahr gar nicht mehr gemeldet. Und dann sage ich: „Kati, kann das sein, dass du dich nicht meldest, weil du denkst, ich brauch dich jetzt nicht mehr?“ Und dann hat sie gesagt: „Ja, genau. „Ja, weißt du, andersherum wird ein Schuh draus. Gerade jetzt hätte ich dich gebraucht, weil ich in ein extremes mentales Tief gefallen bin.“ Und da war sie ganz erschrocken und dann haben wir uns wieder angenähert. Aber das erst mal auch erstens festzustellen und dann darüber zu reden, das finde ich halt wahnsinnig schwierig. Wie siehst du es?

„Bist du nicht endlich durch mit dem Thema?“

Susanne
Ja, ich glaube auch, das ist genau, wie du sagst. Ich glaube auch, so gerade so dieses erste Jahr nach Abschluss der Therapie, die ersten zwei Jahre vielleicht auch so dieses … Es war bei mir ähnlich, dass dann erst einmal auch so, ich sage mal, das so runterklickert aus dem Kopf irgendwie so ein bisschen ins Bewusstsein: Oh Gott, was war das denn jetzt eigentlich so diese letzten Monate der Therapie?

Und es war bei mir ähnlich, dass da auch erst mal, also eigentlich erst mal so die Gefühle, die negativen Gefühle, die Angst vor dem „Mist, das hätte auch echt anders ausgehen können.“ Also ich wusste, dass zwar kognitiv, womit ich es zu tun hatte während der Therapie, aber ich glaube, mein Ganzes ist programmiert auf dem Weg nach vorne. Ein Scheitern kam gar nicht infrage.

Aber als ich dann raus war aus der Therapie und du ja auch dann dieses, sage ich mal, Sicherheitsnetz an Medikamenten nicht mehr hast und dann auch erst einmal vielleicht so der Vertrauensverlust dir bewusst wird in Bezug auf deinen Körper, dass dein Körper dich ja irgendwie im Stich gelassen hat und du musst auch da, finde ich, auch wieder eine neue Beziehung aufbauen.

So sehe ich das persönlich, zu dir selbst und zu deinem Körper zu sagen: „Okay, wie kriegen wir das jetzt hier beide gemeinsam irgendwie hin?“, durchs Leben zu gehen und möglichst gesund? Und ich glaube, das ist auch wirklich tatsächlich die größte Herausforderung in Bezug auf das Umfeld.

Es war bei mir ähnlich in Bezug aufs Telefon. Während der Therapie Telefonanrufe damals gab es noch nicht so richtig viel, doch WhatsApp gab es schon, aber soziale Medien noch nicht. Es lief noch viel über Anrufe und hinterher kam wieder so diese Stille, wieder das Schweigen, was ich auch so kannte. Und aber auch dann auch wieder in diesem Schweigen auch meinerseits so diese Glaubenssätze, die ich dann schon seit Kindesbeinen dann hatte: „Über Krebs spricht man nicht.“ Dieses, was du vorhin auch gesagt hast, „Na, bist nicht endlich mal durch mit dem Thema?“.

Das waren alles Gedanken, die in mir waren und die mich auch häufig nichts haben sagen lassen. Und ich glaube, wenn ich da auch selbstkritisch dann noch mal mit mir umgehe, hätte ich vielleicht auch den einen oder die andere auch mutiger konfrontieren können. Ja, wie du sagst, in Kommunikation bleiben zu sagen: „Hey, nein, aber das ist jetzt irgendwie, es ist noch nicht abgeschlossen.“

„Wie kann ich denn jetzt, wo eigentlich die Haare wieder wachsen … den Leuten mitteilen, dass ich jetzt eigentlich erst an meinen Tod denke?“

Susanne
Und bei mir war es tatsächlich so die Frage: „Wie kann ich denn jetzt, wo eigentlich die Haare wieder wachsen und ich irgendwie wieder aussehe, wie die Person, die die Leute einigermaßen vorher kannten, den Leuten mitteilen, dass ich jetzt eigentlich erst an meinen Tod denke und eigentlich das Bedürfnis habe, meine Beerdigung zu planen?“

Und das finde ich so schön. Du hast ja vorhin auch die Interviews angesprochen in dem Buch, die Kerstin Möller, ist auch eine Onkologin, die so einen treffenden Satz gesagt hat: „Die Seele geht zu Fuß.“ Und das ist, glaube ich, ganz, ganz, ganz, ganz wichtig. Ich glaube, wir können es gar nicht oft genug betonen.

Diese versetzte Verarbeitung der Erkrankung, wenn sie abgeschlossen ist, versus das Bedürfnis der Zugehörigen, wieder so einen Zugewinn an Freiheit zu haben, an „Jetzt kann sie vielleicht wieder unterstützen, jetzt ist sie vielleicht wieder in ihrer anderen Rolle.“ Und gleichzeitig sind wir ja aber noch irgendwie in unserer mit und in unserer Rolle der Krebspatientin verhaftet und das muss erst mal, das braucht Zeit, das loszulassen auch.

Nella
Ja, ja gut. Auf der anderen Seite gibt es auch so Situationen, habe ich auch oft erlebt, dass Zugehörige, wie du so schön sagst, den anderen gar nicht von der Angel lassen wollen, eben auch aus der Angst. „Oh nein, das kannst du nicht machen. Du bist noch nicht so weit.“

Oder eben andersherum, viele einfach nicht aus diesem „Krebs-Ich“ rauskommen. Weil es auch ein bisschen bequem ist, weil man so viel abgenommen bekommen hat, dass es auch schwierig ist, wieder in die Selbstverantwortung reinzukommen oder sich sein eigenes Terrain zu erobern.

Ich kann aber einmal nur sagen, ich kann nur ermuntern und auffordern, das zu tun, sich das auch wieder Schritt für Schritt alles wieder noch mal, auch den alten Rollen wieder anzunehmen und so, weil es was mit dir macht. Es gibt ja wieder sehr viel mehr Stärke und Selbstbewusstsein. Also das sozusagen Plädoyer von meiner Seite jetzt hier.

Wenn du mal guckst, nachdem du das Buch geschrieben hast, was hat sich in deiner Art zu kommunizieren verändert?

Susanne
Oh, das ist eine gute Frage, Nella. Ich glaube tatsächlich alles und nichts. Ich weiß es nicht. Also in Bezug auf Krebs bin ich mit mir selber, glaube ich, sehr im Reinen, im Sinne vom Bewusstsein, dass ich auch meine eigenen Schatten der Erkrankung kenne und mit ihnen in Kommunikation gegangen bin und mit ihnen arbeite.

Was zufolge hat, dass ich mich natürlich jetzt traue, nach außen zu gehen mit meiner Erkrankung, also auch so diesen Glaubenssatz zu hantieren: Über Krebs spricht man nicht. Gut, ich beweise jetzt gerade, dass wir es eben doch tun.

Ich glaube, in Bezug auf den Umgang mit anderen Betroffenen fällt es mir mittlerweile natürlich selbst viel leichter, so eine Diagnose, die auch immer wieder kommt, einfach mir anzuhören und zuzuhören, ohne diesen Impuls zu haben: „Ich muss jetzt gerade irgendwas Kluges sagen.“

Nella
Ja, oder mit der eigenen Geschichte zu kommen, so reflexhaft. Genau. Also, das, was wir auch schon gesagt hatten, dass die „Schwester meiner Freundin trallala hatte das auch …“. Dass wir solche Reflexe bitte auch nicht bedienen. Finde ich auch ganz schwierig. Einfach mal den anderen von seiner Geschichte erzählen lassen, ohne den berühmten Senf dazu zu tun.

Susanne
Und ich glaube tatsächlich, das ist in Bezug auf Kommunikation ja etwas, ja etwas was wir durchaus lernen und ich glaube auch immer wiederholen dürfen: das Zuhören. Also das aktive Zuhören im Sinne von, selbst wenn ich irgendwie merke, mir liegt was auf der Zunge, man darf auch einfach mal da sitzen und sagen und den Raum einfach mal öffnen für den kurzen Moment der Stille, wo wir uns gemeinsam sortieren.

Und das ist eben so das, glaube ich, im Punkto empathische Gesprächsführung, was ganz wichtig ist. Unser Gefühl der Hilflosigkeit, was wir vielleicht in dem Moment haben, wenn uns derjenige vom Thema Krebs erzählt, zwar wahrzunehmen, aber das bei uns zu lassen und den anderen den Raum zu geben, sozusagen seine Geschichte von sich zu erzählen. Und ich glaube, wenn wir das irgendwie ein bisschen mehr schaffen, dann haben wir schon ganz viel gewonnen.


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„Erst mal Raum geben, bevor ich mit der Lösung komme.“

Nella
Oder dass wir nicht verfallen darin, zu sagen, Sprachlosigkeit und Stille ist das Gleiche. Das ist es eben nicht.

Susanne
Nein. Es gibt ja auch, finde ich, sehr heilende und sehr wohlwollende Räume der gemeinsamen Stille, die man gemeinsam aushalten darf. Und ich glaube, das ist aber das, was uns in unserer heutigen Gesellschaft so schwerfällt, weil wir immer so auf Senden und auf Lösungen programmiert sind.

Und ich glaube, das ist auch etwas, wenn ich da noch mal die gewaltfreie Kommunikation hervorholen darf. Ich habe ja gesagt, das ist so eine Kommunikation, die auf die Beziehungsebene geht und das bedeutet, dass ich erst mal der Beziehung zwischen dir und mir erst mal Raum gebe, bevor ich mit der Lösung komme.

Und wir sind so schnell da drin gleich bei einer Diagnose zu gucken: Okay, doch Google sagt uns jetzt das und da ist vielleicht noch eine Alternativtherapie. Ich habe hier eine Lösung für dich oder ich habe dieses Buch gelesen oder ich habe diesen Tipp gehört oder meine Nachbarin hat das mir erzählt, damit ich dir gleich etwas liefere.

Nein, wir brauchen, glaube ich, nicht immer gleich in der ersten Sekunde eine Lösung, so gern wir das hätten, sondern ich glaube, es ist ganz wichtig, Beziehung zuerst zu gestalten und dann zu gucken, wie kommen wir vielleicht gemeinsam eine Lösung? Und passt diese Lösung überhaupt für unser Gegenüber in dem Fall.

Nella
Ja, vielleicht auch auf die Fragen mal der anderen warten, ohne jetzt gleich mit einer Antwort zu kommen, auf die gar keine Frage gestellt wurde. Das finde ich auch immer sehr lustig.

Wie gesagt, wir sind uns ja auch einig darin, dass wir sagen, wir wollen jetzt hier keine Vorwürfe verteilen oder keine Schuldzuweisungen ausüben, sondern wir können ja wirklich aus eigener Erfahrung reden. Und natürlich haben wir selber auch Fehler gemacht.

Ich hatte eine sehr, sehr gute Freundin, also mein alter Ego. Die ist jetzt mittlerweile vor 20 Jahren an Krebs verstorben, sehr jung verstorben. Und da habe ich sicherlich auch nicht alles richtig gemacht und ich weiß, wie verdammt schwierig das ist, da hinzukommen. Dennoch finde ich, das zu formulieren, dass es schwierig ist, ist schon mal ein erster Schritt und das kann helfen.

Jetzt kommen wir so langsam in den Sinkflug, obwohl ich noch ganz, ganz viele Fragen hätte und wir haben jetzt gar nicht über deinen Vater gesprochen, aber ihr Lieben, ihr müsst dann einfach das Buch lesen, weil das ist auch noch ein sehr spezieller Aspekt. Ihr Vater ist nämlich auch an Demenz erkrankt, was uns beide auch verbindet, weil mein Vater das auch leider hatte und wir als Töchter da auch mitgelitten haben und uns auch in so eine doppelte Sprachlosigkeit quasi verabschiedet haben. Das möchte ich hier noch mal ans Herz legen.

Abschließende Tipps für eine bessere Kommunikation

Was ich jetzt wissen wollen würde, auch für die Hörerinnen und Hörer: Was wären denn deine drei Tipps, wenn du sagst, ja, das könnte besser laufen im Miteinander.

Susanne
Im Miteinander? Ja. Drei Tipps: Tatsächlich ist es erst einmal wirklich auch das Zuhören, was häufig unterschätzt wird und was uns schwer fällt, die Stille manchmal oder auch vielleicht die eigene Wortlosigkeit auszuhalten, besonders von angehörigen Freunden und diesen Raum für sich selber erst mal zu nutzen, in sich zu gehen. Das ist, glaube ich, ganz wesentlich, also ein ganz wesentlicher Hinweis oder Tipp, den ich geben würde, weil häufig sind wir da eben einfach sehr schnell in Ratschlägen oder in Vergleichen, was erst mal nicht hilft, sondern erst mal bei mir zu bleiben und auch im Sinne der Selbstfürsorge.

Wir dürfen ja auch einfach mal betonen, dass so eine Krebsdiagnose für Betroffene oder für Zugehörige auch nicht leicht ist und auch zu gucken: Okay, wie bin ich überhaupt da und was kann ich überhaupt geben? Kann ich überhaupt was geben? In welcher Beziehung stehe ich zu der Person und was ist vielleicht angesagt? Also wirklich zuhören und die Stille aushalten, das ist mein erster Tipp, ist eigentlich so ein großes Geschenk, das vermeintliche Nichtstun, was ja häufig so empfunden wird.

Und ich glaube, was du vorhin auch gesagt hast im Sinne von „Mit Wissen gegen die Angst.“, das ist auch ein ganz wichtiger Hinweis, den ich zum Beispiel auch von meinem Mann denn auch gelernt habe, der, als die Diagnose kam, hat er während meiner Therapie ein Buch gelesen. Ich müsste jetzt genau gucken, aber das hieß, glaube ich, „Der König aller Krankheiten. Krebs.

Das ist so ein Wissenschaftspunkt, sozusagen, von der Forschung her sich dem Thema widmen. Und das hat er zum Beispiel gelesen als Angehöriger, weil er gesagt hat: „Ich habe ja Angst vor all dem, was ich nicht kenne. Und das ist, glaube ich, auch tatsächlich etwas: Wir haben immer Angst vor etwas, was wir nicht kennen. Und ich glaube, sich dann erst mal mit dem Thema auch auseinanderzusetzen, das ist auch auf jeden Fall, finde ich, ganz wichtig. Das waren jetzt erst mal zwei Tipps.

„Wir sollten mehr auf die anderen zugehen, uns mitteilen.“

Nella
Das müssen ja auch nicht drei sein. Das finde ich schon sehr, sehr hilfreich. Und das, was wir auch gesagt hatten, ist, denke ich, ins Gefühl zu gehen, bevor wir in die Kommunikation gehen, erst mal zu checken, in welchem Gefühl, in welcher Situation befinde ich mich dann, und dann darauf zu reagieren. Und auch, das schreibe ich jetzt auch mal den anderen so in ihre Notizheftlein die an Krebs erkranken:

Ja, auch wir dürfen auf die Angehörigen zugehen oder die Zugehörigen. Das ist ganz wichtig, weil wir es ohne die anderen eben auch nicht schaffen. Wir schaffen es nicht alleine. Durch diese Katharsis, durch diese Prüfungen da durchzugehen. Und eine Sache, die ich eigentlich auch noch mal erwähne: Es gibt auch andere schwere Erkrankungen, die leider uns herumschwirren.

Natürlich ist Krebs eine schwierige, weil sie lebensbedrohlich ist, Dennoch sollten wir uns da nicht erhöhen über andere Stellen und sagen: „So, weil ich das jetzt habe, kann ich dies und das und jenes machen oder dies und das und jenes sagen.“ Also da auch so ein bisschen mit Augenmaß und auch Gefühl an die Sache ranzugehen. Das ist eben keine Einbahnstraße.

Susanne
Und ich finde auch, bei Kommunikation dürfen wir uns auch, glaube ich, immer bewusst sein, wenn ein Gespräch funktionieren, in Anführungszeichen darf, jeder 50% Verantwortung dafür, dass es klappt. Und ich glaube, das ist auch ganz wichtig irgendwie zu wissen, dass es nicht aus meiner Sicht ohnehin da nie so einen Schuldigen gibt, denn auch fern davon zu sagen, da ist jetzt der Angehörige schuld, dass das und das … Also Kommunikation ist immer Sache von beiden Seiten, finde ich. Und damit ein Gespräch funktionieren kann, dürfen wir uns einem gemeinsamen Verständnis nähern.

Nella
Ja, vor allen Dingen die Schuldfrage zu klären, bringt gar nichts.

Susanne
Nein, überhaupt nicht.

Nella
Weil es keine Schuld gibt. Das ist noch mal so. Ich denke, da sind wir beide „on the same page“. Da haben wir die gleiche Denkweise zu dieser schwierigen Thematik. Aber ich hoffe, wir haben da so ein bisschen helfen können. Was ich natürlich auch noch in die Shownotes packen möchte, ist der Link zu deiner Webseite: Herztöne, wo du auch so ein paar Sachen anbietest, wenn man mit dir ins Coaching gehen möchte, was ich auch ganz spannend finde.

Und zur „Gewaltfreien Kommunikation“ werde ich auch noch was verlinken. Du hast sicher zwei, drei Buchtipps, die können wir auch noch mal anbringen und das, was dein Mann da gelesen hat, vielleicht auch noch mal unterbringen.

Jetzt bedanke ich mich aber sehr herzlich bei dir und sage erst mal Tschüss an alle, die uns hier zugehört haben, lieber Hörer, liebe Hörerin. Es hat mir viel Spaß gemacht und passt gut auf euch auf, passt gut auf dich auf und ich sage jetzt erst mal Tschüss und wünsche einen schönen Tag.

Susanne
Danke dir ganz herzlich, liebe Nella, für das schöne Gespräch.

Die vier Schritte der „Gewaltfreien Kommunikation“:
1. Was siehst du? – Trenne deine Beobachtung von deiner Bewertung.
2. Was fühlst du? – Welche
Gefühle kommen hoch?
3. Was brauchst du? – Gibt es ein
Bedürfnis, mit dem die Gefühle zusammenhängen?
4. Deine
Bitte? – Wie kann das Bedürfnis erfüllt werden und von wem?

Zwei Buchtipps für GfK:
Marshall B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation. Die Sprache des Lebens.
Besonders interessant für Ärztinnen und Ärzte:
Dr. Stephanie Schnichels, Patienten- und Teamkommunikation für Ärzte.
Das Buch zum Thema Krebs, das ihrem Mann geholfen hat alles besser zu verstehen:
Siddhartha Mukherjee: Der König aller Krankheiten. Krebs. Ausgabe in Englisch
Podcastfolge mit Alexandra Brosowski, Spiegel-Bestseller Autorin, Ghostwriterin und Schreibcoach:
#22 – „Schreib es dir doch einfach von der Seele.“ – Zellenkarussell
Podcastfolge mit der Pädagogin Familien- und Paartherapeutin Dagmar Höffken:
„Ich habe Krebs.“ – Wie sag ich´s dem Kinde?

Die Episode mit meiner Mutter: #8 – Angehörige – Was die Diagnose Krebs mit unseren Lieblingsmenschen macht. – Zellenkarussell

Lesenswertes aus dem Zellenkarussell:
„Wie geht es Dir?“  – No more Floskelmodus, please. – Zellenkarussell

„Nur ein Angehöriger“ – Zellenkarussell

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