„Gut, dass sie uns damit nicht belästigt hat!“
Wie alles begann. Die Begegnung mit der „Boutique-Lady“
Es ist ein recht warmer Tag im Mai 2019, die Menschen sind gut drauf – auch in Berlin. Mich hat es auf der Suche nach einem passenden Sommeroberteil in eine Boutique verschlagen, die in den nächsten Tagen schließen wird.
Kurz: Ich fröne der Deutschen liebstem Hobby, der Schnäppchenjagd.
Während ich ein Beutestück – ein schickes, rotes T-Shirt mit einem raffinierten Ausschnitt – in meinen Händen halte und mich in der Umkleidekabine entblättere, sieht die Verkäuferin mein dickes Pflaster, dort wo einmal der Port lag.
Denn genau diese Tatsache wollte ich mit meinem Einkauf feiern: Der Port, der olle „Knopf“, ist raus!
Hüpf. Tanz. Freu.
Bis ich es endlich gewagt hatte einen Termin zu machen, waren mir so viele Gedanken durch meinen Kopf gegangen: Ist das auch vernünftig? Was ist, wenn du ihn doch noch brauchst? Du weißt doch, wie kompliziert deine Venen sind …
Egal! Ich wollte meine Freiheit zurück. Der Port gehörte nicht zu mir. Ich wollte ihn nicht mehr jeden Morgen im Spiegel sehen. Schöne Erinnerungen waren nicht mit ihm verknüpft. Im Gegenteil. Also: Weg damit.
Na, hammse Krebs?
Aber die Verkäuferin will meine Feierlaune nicht zulassen und haut mir schonungslos folgende Frage um die Ohren:
„Na, hammse Krebs?“
Ich bin völlig perplex, mal wieder. Feingefühl? Fehlanzeige!
Eigentlich sogar noch schlimmer, klang die Bemerkung doch wie so eine Art überlegenes Triumpfgeheul.
Nach dem Motto: „Ich weiß Bescheid! Mir können Sie nichts vormachen. Ich sehe alles!“ Ätzend.
Meine Verdutztheit ausnutzend, legt sie gleich nach: „Meine Schwester hat DAS auch. Kommt gar nicht damit klar. Ist nur am Heulen.“
Mir wird kalt, alles krampft sich in mir zusammen.
Immerhin bin ich in der Lage wie so ein ferngesteuerter Sprechautomat zu reagieren: „Jeder geht anders mit der Erkrankung um. Leicht ist es ja auch nicht.“
Doch das interessiert die „Boutiquetante“ nicht.
Sie holt nur kurz Luft, um sofort wieder ihre Stimme zu erheben, und mich unfreiwillig an ihren Gedanken teilhaben zu lassen: „Die Hannelore Elsner hat das schon richtig gemacht. Tolle Frau. Niemandem hat sie von ihrer Krebssache erzählt.“
Und als wäre das nicht genug, schiebt sie noch hinterher: „Gut, dass sie uns damit nicht belästigt hat!“
Wer belästigt hier wen?
Ich bin bedient.
Natürlich durfte Hannelore das so für sich entscheiden, keine Frage. Dafür gab es sicher triftige Gründe, die mich persönlich auch überhaupt nichts angehen, anzugehen haben. Aber die Schlüsse, die diese furchtbare Frau daraus zog und dann auch noch von allen anderen als allgemeinen Verhaltenscodex forderte, war sicher nicht in Hannelores Sinne.
Das alles denkend, steht mir immer noch vor Schreck der Mund offen und hole dann aber mit leichter Zeitverzögerung zum verbalen Gegenangriff aus. Denn eigentlich lag ich bildlich gesprochen von ihren unverschämten Worten getroffen bereits am Boden. Doch ich wehrte mich. Auf meine Schlagfertigkeit konnte ich mich immer verlassen. Die hatte mir der Krebs nicht genommen.
Wie in einem Zitat aus dem Film “Die Ritter der Kokosnuss“ von Monty Python haue ich noch geistesgegenwärtig raus: „Na, dann will ich Sie auch nicht weiter mit meinem Einkauf belästigen. So schlecht wurde ich noch nie bedient. Ein schönes Leben noch.“
Wenn die Wut einen Turbo zündet
Eiligen und entschlossenen Schrittes stürme ich aus dem Laden. Aus dem Augenwinkel kann ich noch sehen, wie jetzt ihr die Kinnlade nach unten fällt, das T-Shirt noch in der Hand haltend. Hätte es sprechen können, hätte es ihr sicher sagen können, was hier gerade falsch gelaufen war. Sie war eindeutig aus einem anderen Stoff.
Draußen angekommen, habe ich einen ziemlichen Stechschritt drauf. Das ist immer so, wenn ich sauer bin. Dann setze ich meine Wut in Schnelligkeit und Strecke um.
Auf dem Weg nach Hause „brubbele“ ich halb laut vor mich hin:
„Was für eine blöde Kuh!
Was bildet die sich denn ein?
Wie zynisch ist das denn bitte?
Die arme Schwester!“
Ein zwei Leute drehen sich verwundert um, aber mir ist das reichlich schnuppe.
Ich bin in Fahrt. Bitte jetzt nicht ansprechen. Das wäre ein Fehler, ein großer Fehler.
Meine Contenance ist dahin.
Jetzt reicht´s
Kaum zu Hause schieße ich meine Schuhe in die Ecke, setze mich polternd an meinen Schreibtisch, fahre meinen Laptop hoch, haue in die Tasten und schreibe und schreibe und schreibe. Die Urfassung für meinen ersten Blogbeitrag: „Noch so ein Spruch und ich vergesse meine gute Erziehung“ floss mir nur so aus den Fingern.
Und noch ein Entschluss reift genau in diesem Augenblick: Die Zeit ist reif für einen eigenen Blog. Ich hatte das Gefühl, ich hatte noch einiges zu sagen. Von solchen Menschen wollte ich mich nicht unterkriegen lassen. Außerdem hatte ich mir inzwischen so viel Wissen angeeignet, dass sicher nützlich sein kann. Warum sollte ich das nur leise in mir rumtragen. Da sieht und liest es ja niemand.
Das Projekt „Blog bauen“ hatte ich schon lange im Kopf, aber nie den Hintern hochbekommen. Bisher standen mir mein mangelndes technisches Know-how und meine Furcht vor dem Veröffentlichen „meiner “ Texte im Wege, meine Ausreden waren vielfältig:
- Keine Zeit.
- Wie soll das überhaupt gehen?
- Will das überhaupt jemand lesen?
- Die Familie, die Kinder gehen jetzt vor.
- Ich muss erst mal an meiner Fitness arbeiten.
- Und was ist, wenn mir jemand schreibt, wie blöd ich bin oder was mir einfällt über dieses K-Thema zu schreiben, von dem niemand was wissen will. Es gibt sicher noch mehr „Boutiqueverkäuferinnen-Modelle“ da draußen.
- Dann dreht sich ja alles nur noch um die Krankheit, um den Krebs. Das will ich nicht.
„Das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht.“ (Bosse-Song: „Alles ist jetzt“)
Aber hei, ich tue es ja ohnehin, dass über meine Erkrankung nachdenken oder besser über das, was danach alles passiert ist. Das Thema, auch wenn der Krebs besiegt ist, begleitet mich eben, es hat mich in gewisser Weise auch geprägt.
Diese Diagnose macht einiges mit mir, mit dir. Das kann ich nicht verleugnen. Also warum nicht darüber schreiben und sich mit anderen austauschen? Auch mal herzhaft über den Blödsinn lachen oder fluchen, den andere so verzapfen.
Denn selbstverständlich war es nicht das erste Mal, dass mir so eine Äußerung um die Ohren geflogen ist. Dass ich fassungslos war, über so wenig Taktgefühl.
Natürlich gibt es auch nette Geschichten, aber diese gehört definitiv nicht dazu.
Die richtige Entscheidung
Und heute: Mit jedem Blogbeitrag wächst mein Selbstbewusstsein, meine Stärke und innere Kraft. Ich habe gemerkt, dass ich mich über das Schreiben von Themen, die mich beschäftige befreie. Nicht ohne Grund gibt es die Redewendung, sich Dinge von der Seele zu schreiben. Mir tut das gut. Ich kann das Erlebte so besser verpacken.
Mit jeder persönlichen E-Mail, die ich bekomme, hüpft mein Herz. Es gab schon so viele schöne, aufmunternde, sehr persönliche und berührende Nachrichten an mich.
Mit jedem Kommentar von euch, von dir merke ich, dass die Entscheidung richtig war.
Und auch wenn du „nur“ stille Mitleserin, stiller Mitleser bist, freue ich mich, dass du mich gefunden hast und dich nicht mehr so allein fühlst mit deinen Gedanken.
Krebs ist zwar doof, mächtig doof. Aber Krebs macht nicht doof – und vor allem darf die Krankheit nicht die Macht haben, uns verstummen zu lassen.
Wir sind alle immer noch Menschen mit Träumen, Ideen und Projekten, habe zahlreiche Talente und Stärken, die uns und unser Leben erfüllen.
Belästigen möchten wir niemanden. Klar. Wir möchten einfach nur respektiert, gehört und gesehen werden.
Und ehrlich gesagt: Im Nachhinein kann ich der Verkäuferin dankbar sein. Sie hatte meinen Wut-Turbo gezündet, mich so provoziert, dass ich endlich das gemacht habe, was ich schon so lange tun wollte: Geschichten schreiben. Und was ich seitdem sonst noch alles gemacht habe, wen ich dadurch kennenlernen und was ich alles von so wundervollen Menschen alles lernen durfte.
Ich muss mich selbst manchmal kneifen. All das wäre ohne unsere Begegnung, ohne ihre Frechheiten sicher nicht passiert.
Schade, dass ich ihr das nicht mehr sagen kann. Den Laden gibt es nämlich nicht mehr.
Es grüßt dich herzlich
Die Nella
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Mein Ratgeber als e-book und als Taschenbuch.
„Warum sagt mir das denn niemand?“ – Was Du nach einer Krebsdiagnose alles wissen musst.
Lange habe ich überlegt, ob ich es wagen soll, da Ratgeber von Nicht-Promis angeblich nicht gelesen werden …
Jetzt habe ich es einfach gemacht. Denn ich finde, was ich in diesem Ratgeber zusammengetragen habe, sollte jede Krebspatientin, jeder Krebspatient unbedingt wissen.
Besonders, wenn die Diagnose noch sehr frisch ist, wächst dir einfach alles über den Kopf – auch den Angehörigen.
Oft genug habe ich selbst vor mich hin geschimpft: „Das hätte ich gerne früher gewusst!“
Denn merke: Krebs ist für alle Neuland. Ab heute hast du, habt ihr, einen hilfreichen Kompass in der Tasche.