### aktualisiert am 23. Juni 2021 ### Zum vierten Mal
mein 2. Geburtstag! ### Ursprungsfassung: 19.12.2019
Als ich von meinem Arzt im Frühjahr 2017 mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass mich dauerhaft nur eine Stammzelltransplantation retten kann, brach ich komplett zusammen.
Nicht das auch noch, bitte.
Warum sollte ich mich jetzt auch noch dieser Tortur unterziehen? Meine Immuntherapie zeigte doch Wirkung, die „Kettenhunde“ waren doch erfolgreich! So sagte es damals mein behandelnder Oberarzt, als er die eigens für mich entwickelte Immuntherapie erklärte.
Inhaltsverzeichnis auf einen Blick
Heilung ist wieder eine Option
Die Antwort war so einfach wie eindeutig: Es gab keine Alternative. Denn es gab bisher keine belastbaren Zahlen über die dauerhafte Wirkung meines besonderen „Immun-Cocktails“.
Mein Arzt sagte einmal, als wir uns für das „Loslassen der Kettenhunde“ entschieden hatten: „Nella, Sie sind im Grunde ihre eigene Studie. Sie haben so eine seltene Unterart des Non-Hodgkin-Lymphoms, da gibt es bisher keine erprobte Therapie, keine Studie, die für Sie passen könnte.“
Anmerkung: Die mögliche Teilnahme an der CAR-T Studie war in der sog. Screening-Phase abgelehnt worden. Hier nachzulesen und mehr über den Ablauf von Studien erfahren.).
„Sie sind ein ganz besonderer Fall.“ schob er nach.
Mein innerer gedanklicher Reflex war dazu: „Es ist ja eigentlich sehr schön, besonders zu sein, nur jetzt hätte ich es mir gerne verkniffen. So eine Sch… !“ Aber ohne das Werk der „Hunde von Baskerville“ hätten wir niemals festen Boden unter den Füßen bekommen, hätte ich niemals die Aussicht auf Heilung gehabt, die mir jetzt über die Möglichkeit der Fremd-(allogene) Stammzellentransplantation eröffnet wurde.
Nebenbei bemerkt: So richtig klar wurde mir der Ernst des letzten Jahres erst, als nun wieder das Wort „Heilung“ eine Rolle spielte.
Mein Kurs war also von palliativ auf kurativ gewechselt.
Demnach stand das vorher nicht zur Debatte.
Das wurde mir erst jetzt so richtig klar.
Mir suppten die Beine weg …
Heiß und kalt – Wechselbad der Gefühle
Dazu kam noch, dass meine liebe Bettnachbarin Constanze, ich sage es mal vorsichtig, mir nicht so schöne Dinge über die Stammzelltransplantation erzählt hatte.
Sie hatte sich – wie in meinem Beitrag „Auf gute Nachbarschaft“ schon berichtet – in einigen Foren umgetan und echte Horrorgeschichten gelesen.
Wie gut, dass mir eine Onko-Schwester schon sehr früh den Kopf zurechtrückte und klarstellte, dass sich in vielen Foren oft Patienten und Patientinnen tummeln, die händeringend den sprichwörtlich letzten rettenden Strohhalm suchen.
„Machen Sie sich nicht verrückt. Die Erfolgsgeschichten finden dort naturgemäß nicht statt. Und bedenken Sie immer: Jeder Patient ist anders und das Verfahren, das jetzt vor Ihnen liegt, ist erprobt.
Gehen Sie bitte niemals in Foren rein. Das macht Ihnen nur Angst.“
Ich habe ihren Rat befolgt.
Trotzdem wurde mir heiß und kalt bei der Vorstellung, dass ich nun diesen ganz sicher auch schweren Weg gehen sollte.
Das hatte ich mir nicht gewünscht. Das war nicht der Plan. Aber was sind schon Pläne?
Alternativlos
Alles gut und schön, aber was sollte ich denn nun machen?
Wie sollte das alles auch rein praktisch gehen?
Und dann die alles entscheidende Frage: Wer kommt überhaupt als Spender in Frage? Finde ich überhaupt jemanden, der sich eignet?
Eine sogenannte autologe (also eigenbasierte) Stammzelltransplantation stand nicht zur Debatte. Die Aussage zu dieser Möglichkeit lautete: „Damit gewinnen wir nicht viel, höchstens etwas Zeit. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie dann in spätestens drei Jahren wieder auf der Matte stehen.“
Große Rezidiv-Gefahr, wusste ich ja bereits..
Das hatte ich ja bereits beim Gespräch zur Studienteilnahme mit meinen Ärzten durchgekaut.
Der vorgeschlagene Weg war, wie Politiker gerne sagen, alternativlos.
Schwesterherzen schlagen schneller
Also gut, ich mache es.
Ich hänge ja schließlich am Leben, an meinem Leben, ich will ja noch einiges erleben und vor allem meine Kinder so lange wie möglich begleiten, sehen, was aus ihnen wird, wohin sie ihre Reise führt.
Als Spender könnten naturgemäß meine Schwestern in Frage kommen.
Ich nahm „den Hörer in die Hand“ und musste ungefähr maximal eine zehntel Sekunde nach meiner alles entscheidenden Frage zahlreiche rasend schnell formulierte Einzelaktionsschritte und Fragekomplexe meiner Schwester koordinieren.
Sie ist eben eine Frau der Tat. Da wird nicht lange gefackelt.
Kein (befürchtetes) Zögern, es ging sofort los. Denn meine mittlere Schwester ist nicht nur Schwester, sondern auch Schwester, also Krankenschwester, und darüber hinaus noch mega gut organisiert.
Sie kannte natürlich ungefähr das Procedere und hatte quasi gleich mit ihrem Handy am Ohr das Labor in ihrer Dialysepraxis betreten, um alles zu checken.
Ich hätte heulen können vor Dankbarkeit.
Meine Schwester!
Bei meiner kleinen Schwester das Gleiche, dabei hätte ich ein „erst einmal Nachfragen“ ja durchaus verstanden.
Aber Schwesterherzen schlagen eben schneller.
Ruck zuck hatten die beiden die Typisierung in die Wege geleitet und die Abstriche direkt an meine Klinik geschickt.
Hinweis: Spender werden ist ganz leicht!
Hier geht es zum kleinen Vorab-Check der DKMS.
Auszug: „Grundsätzlich kann jeder im Alter zwischen 17 und 55 Jahren als potenzieller Stammzellspender registriert werden. Registrierte 17-Jährige dürfen dann zwar noch keine Stammzellspenden spenden, werden aber ab dem 18. Geburtstag automatisch in unserer Datei aktiviert und bei der Suche nach Spendern entsprechend berücksichtigt. Falls Sie bereits in einer Datei erfasst sind, ist eine erneute Aufnahme nicht erforderlich. Sollten Sie unter einer chronischen Erkrankung oder einer anderen schweren Erkrankung leiden oder gelitten haben oder regelmäßig Medikamente einnehmen, halten Sie bitte Rücksprache mit der DKMS. Die wichtigsten Ausschlusskriterien:“ Weiterlesen
DKMS-Infofilm hier klicken
Und natürlich das Zentrale Knochenmarkspende-Register Deutschland ZKRD
Passt das?
Nun hieß es warten. Ich weiß gar nicht mehr wie lange, aber es war unerträglich und viel zu lang. Geduld war noch nie meine Stärke!
Als dann auch noch die niederschmetternde Nachricht kam, dass eine Schwester überhaupt keine Übereinstimmung mit meinen zehn Gewebemerkmalen, den sog. HLA-Merkmalen, hatte, war ich schon sehr niedergeschlagen, habe mich aber spaßhaft gefragt, ob wir vielleicht gar nicht verwandt sind.
(Anmerkung: meine Schwester ist so eindeutig das Kind meiner Eltern, wie es eindeutiger nicht sein kann, was by the way auch für mich gilt).
Bei der zweiten Schwester sah es nicht viel besser aus. Fünf von fünf Merkmalen passten, mehr nicht.
Schlappe 50%, das war kein gutes Ergebnis.
Plan B
Alles klar. Kurz schütteln, Tränchen wegwischen, Krönchen richten.
Plan B musste jetzt greifen, einen Plan C gab es nämlich nicht.
Wir mussten „da draußen“ einen genetischen Zwilling suchen – und finden. Mein Cousin, selbst Onkologe, meinte ganz zuversichtlich: „Ach du, meist findet man sogar zwei, die passen. Denn es wird nicht nur im nationalen Krebsregister gesucht, sondern auch im internationalen.“
Ein mulmiges Gefühl blieb, hatte ich doch noch die Geschichte von Guido Westerwelle im Hinterkopf, die mich damals sehr berührt hatte. Abgesehen davon, dass er trauriger Weise nach seiner Stammzelltransplantation an einer Lungenentzündung gestorben war, die u.a. durch Abstoßungsreaktionen in der Mundschleimhaut ausgelöst wurde, war sein erster Spender abgesprungen und es musste schnell ein neuer gefunden werden.
Hoffentlich blieb mir das ALLES erspart.
Dennoch, die Aussage der Stationsschwester trug ich wie ein Mantra vor mir her: Jeder Verlauf ist anders und die Transplantation ist ein erprobtes Verfahren. Jeder Verlauf ist anders …
Die erlösende Nachricht
Als ich mal wieder in der Ambulanz war und meinen „Immun-Cocktail“ bekam, betrat mein behandelnder Arzt freudestrahlend mit wehendem Kittel den Raum und wedelte mit einem Stück Papier in der Hand durch die Luft.
„Wir haben zwei passende Spender gefunden, Nella!“, brüllte er mir flüsternd zu. Die ambulante Therapie ist kein Raum für laute Freudentänzchen, leider.
Mir schossen Tränen in die Augen. „Echt? Ist das wahr?“
Ich konnte mein Glück kaum fassen.
„Ja, der Professor will noch diese Woche einen Termin mit Ihnen machen. 10 von 10 Merkmalen stimmen überein und das gleich doppelt! Ich freue mich so für Sie.“
Ich sah mir die Beweis-Matrix an und war fasziniert. Es stimmte wirklich. Damit hatte ich eine echte Chance auf ein neues Leben, keine palliative Langzeittherapie.
Mir drehte sich alles.
Warum Münster? Warum nicht Berlin?
Uijuijui, jetzt wurde mir schlecht. Das ganze Thema wurde real. Ich hatte mich ja schon frühzeitig mit meiner Familie geeinigt, dass ich für die Transplantation nach Münster gehen wollte.
Aus der Region komme ich und kann die Nachsorge wunderbar von meinem Elternhaus aus machen. Denn wie schon erwähnt, ist meine Mutter nicht nur meine Mama, sondern war dazu noch Krankenschwester.
Eine ideale Kombination, die sich tatsächlich bewähren sollte.
Der Alltag meiner Kinder sollte nicht zu sehr unter der Belastung meiner Behandlung stehen, so war unsere Überlegung.
Es war ohnehin alles schwer genug.
Mein Mann würde reichlich damit zu tun haben, alles zu Hause zu koordinieren – von Schule über den Haushalt bis hin zu den Freizeitaktivitäten der Kids – und dazu noch seinen Job (er ist selbstständig) professionell über die Bühne zu bringen.
Und über allem schwebte natürlich Angst, die Angst, dass ich es nicht schaffen könnte. Der Mensch ist zwar – gerade in Drucksituationen – ein Meister im Verdrängen, aber auch diese „Technik“ hat Grenzen.
Ein dickes Brett
Ich habe in der Nachsorge einige Mitpatientinnen und Mitpatienten kennengelernt, die wesentlich jünger waren als ich und vor der Therapie ihr Testament gemacht hatten. In meinen Gedanken hatte der Letzte Wille keinen Platz.
Hätte ich das getan, wäre das für mich in die Richtung selbst erfüllende Prophezeiung (self-fulfilling prophecy) gegangen. Das Schicksal wollte ich nicht heraufbeschwören – oder anders gesagt: „Gehe nicht zu deinem Fürst, bevor du nicht gerufen wirst.“
Das kam überhaupt nicht in Frage. Aus demselben Grund habe ich bis heute keine Patientenverfügung. Ist vielleicht naiv, aber dafür bin ich nicht bereit, darüber möchte ich nicht nachdenken.
Ich will leben.
Vielleicht später mal. Jetzt jedenfalls nicht.
Fest stand, wir hatten ein wirklich „dickes Brett“ zu bohren, wie man im Ruhrgebiet sagt.
Ergo: Ich zog wieder in meine „Homebase“, zu meinen Eltern und machte eine Zeitreise zurück in meine Kindheit.
Ein halbes Jahr lang.
Es muss nicht immer die Hauptstadt sein
Am Rande bemerkt: Wissenschaftlich betrachtet genießt Münster in der „Onkoszene“, gerade im Bereich der Stammzelltransplantation, einen exzellenten Ruf. Und auch von den Fallzahlen her (ein ganz, ganz wichtiges Kriterium) muss sich die Uniklinik Münster nicht hinter Berlin verstecken.
Darüber hatte ich mich natürlich im Vorfeld informiert.
Logisch.
Und was auch zählte:
Der bessere „Tatort“ kommt auch aus Münster, kann kein Zufall sein 😉 .
Der Tag des Einzugs in die Isolation
Am Stichtag brachte meine Tante mich und meine Mutter nach Münster. Dazu muss ich sagen, dass das mit das Lustigste war, was mich an diesen Tag erinnert.
Meine Tante ist nämlich eine – liebevoll gemeint – „geografisch großzügige“, dafür aber eine verhinderte Rallyfahrerin, was meine Mutter wiederum mäßig witzig findet.
Sie leidet jedes Mal wie „Hund“ und steigt nur äußerst widerwillig bei ihr ein. Diesmal ging es nicht anders.
Ich saß also im Fond ihres tiefergelegten Audis und schmunzelte vor mich hin. Meine Tante ließ den Motor heulen und legte sich beherzt in jede Kurve, während meine Mutter auf dem Beifahrersitz stöhnte und sich mit beiden Händen an diesem Griff über der Tür festklammerte.
Du kennst den sicher, hast ihn aber wahrscheinlich noch nie benutzt, richtig?
Ich versuchte den Überblick zu behalten und meiner Tante Regieanweisungen zu geben, zu navigieren: „Hier musst du Rechts abbiegen. Das war Links. Okay, wir könne da hinten auch wenden. Kein Problem.“
DAs alles hatte durchaus etwas Skurriles.
Das Gute war, wir waren früh losgefahren und schafften es geradeso. Mit quietschenden Reifen parkte sie auf dem für Gäste ausgewiesenen Parkplatz ein.
„Wartet, ich komme mit rein,“ Meine Mutter und ich schauten uns verzweifelt an.
„NEIN, das geht nicht!“
Ich befürchte wir waren beide etwas zu synchron und auch etwas zu laut.
Wir erklärten ihr, dass nur eine Begleitperson mit darf. Tapfer setzte sie sich wieder ins Auto und wartete brav.
Dennoch: Die Fahrt war eine echte Heldentat meiner Tante. Ich werde ihr das nie vergessen. Danke, das war ganz groß <3.
Die vier Grundregeln
Dort angekommen, wurde es blitzartig ernst. Umziehen, Sachen verstauen und Anweisungen entgegennehmen.
Letztere lauteten wie folgt:
1. Besuch: maximal zwei Personen, dieser muss sich vorher die Schutzkleidung – eine Art „Astronautenanzug“ – überziehen. Keine Küsse, keine Umarmungen.
2. Duschen: jeden Tag, auch wenn es dir mies geht. Die Keime, die sich durch die Therapie schneller auf der Haut bilden können, müssen runter.
3. Niemals barfuß!
4. Ergometer: täglich mindestens fünf Minuten Fahrrad fahren.
Verstanden? Verstanden! Der Rest ergibt sich.
Mein Zimmer hatte eine Vorschleuse und war ungefähr zwölf Quadratmeter groß. Eine sehr nette junge Ärztin hatte sich dafür eingesetzt, dass ich ein etwas größeres Zimmer bekommen sollte.
Denn bei den Voruntersuchungen war ich bereits in einem Mini-Raum gewesen (ich sag mal „Stichwort Besenkammer“, mehr als ein Bett passte da nicht rein), dessen Enge mir fast den Atem raubte und meiner Psyche nicht gut tat.
In „meinem Raum“ am großen Fenster stand ein Ergometer.
Die Sonne schien.
Es war kurz nach meinem 51igsten Geburtstag Mitte Juni, das war nun für mindestens vier Wochen mein zu Hause.
Ich holte tief Luft.
„Wir machen uns das schön“
Aber, ich hatte mich gut vorbereitet: Ich hatte laminierte Bilder meiner Lieben und kunstvolle Fotos dabei (kann man abwaschen, denn größtmögliche Sauberkeit und Reinheit sind hier oberstes Gebot), die ich mit Magneten an die Wand heften konnte. So hatte ich eine individuelle Fototapete, ich fand es gut.
Außerdem hatte ich zwei kleine Frauenfiguren aus Ton im Gepäck, die ich auf dem Fenstersims platzierte. Dann hatte ich mir Hörbücher mitgebracht – ich hatte in Dauerschleife Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“ gehört, wie sinnig – und mein ebook dabei. Musik natürlich auch.
Das Strickzeug wurde gleich einkassiert. „Die Fusseln sind nicht gut. Das können Sie Ihrer Mutter gleich wieder mitgeben.“ Dann eine einwandfreie Kollektion von weißer Baumwollunterwäsche Marke „Liebestöter“. Denn die musste gekocht werden können.
Mit Satinunterwäsche leider nicht zu empfehlen. Mein Handy wurde eingeschweißt beziehungsweise eingetütet, so wie alle technischen Geräte. Fernseher und Radio waren standardmäßig vorhanden. Meine liebste Freundin Katarina hätte sicher gesagt:
„Wir machen uns das schön, Mausi. Egal, was kommt.“
Vorbereitung auf den großen Tag
Die heikle Phase bei der Stammzelltransplantation ist die sogenannte Konditionierung mit einer hochdosierten Chemogabe. Heißt: Nochmal härter als das, was mein leidgeprüfter Körper bereits kannte.
Hierbei wird das Immunsystem komplett runtergefahren (schon wieder so ein technisierter Begriff, bei Lichte besehen wird es komplett zerstört).
Man befindet sich quasi in einer ähnlich schutzlosen Zeit wie ein neugeborener Säugling.
Überflüssig zu erwähnen, dass ich meine mühsam gezüchteten Haare wieder verlieren sollte. Das dritte Mal.
Der eigentliche Akt – erstaunlich unspektakulär
Dann, nach drei bis vier Tagen, kommt der Tag der Transplantation. Ich weiß nicht, was ich genau erwartet hatte, gelesen hatte ich darüber ja nicht viel, aber dass es tatsächlich nur ein Transfusionsbeutel sein sollte, erstaunte mich.
Ich muss gestehen, ich hatte nicht viel darüber gelesen, um mich nicht zu verunsichern, sondern mich auf die Gespräche mit den Ärzten konzentriert.
Komisch, diesen praktischen Teil der Frage hatte ich tatsächlich nicht gestellt. Warum auch immer.
In den drei bis vier Stunden, in denen der kostbare und lebensrettende „Stammzellensaft“ in mich hineintröpfelte, saßen ein Arzt und meine Mutter an meinem Bett.
Lesehinweis für dich: Ich habe zum Thema Stammzelltransplantation auch einen sehr gut aufbereiteten Beitrag gefunden. Wenn dich das interessiert, hier klicken.
Der Arzt war gesetzlich vorgeschrieben, meine Mutter nicht, war aber gut und sollte künftig – Hallo Herr Gesundheitsminister – auch ins Gesetz ;-).
Es lief ziemlich unspektakulär ab.
Unter Bewachung
Auch danach ging es mir vergleichsweise gut. Ich hatte ein, zwei Mal etwas erhöhte Temperatur, auch mein Magen ärgerte mich etwas, ich musste künstlich ernährt werden, aber das war alles nicht so schlimm, da hatte ich Schlimmeres gehört.
Doch dann kam es dicke, ausgerechnet an dem Tag, als mein Cousin nebst besagter Rallytante zu Besuch kam, spuckte ich Blut. Ein echter Schockmoment für alle Beteiligten.
Wie durch ein Wunder fing sich mein Körper schnell wieder, so wie es gekommen war, hörte es auch wieder auf. Natürlich hatten wir sofort um Hilfe geklingelt und der diensthabende Oberarzt und eine Schwester wirbelten um mich rum.
Der weitere Verlauf gestaltete sich ruhig und ich wurde noch engmaschiger kontrolliert.
Jede minimale Abweichung vom Protokoll wurde intensiv besprochen und diskutiert. Bis ca. eine Woche vor meiner Entlassung nach fast einem Monat.
Da ich während der ganzen Zeit immer brav Fahrrad gefahren war, durfte ich auch schon vor meiner Entlassung ein paarmal in Begleitung für eine halbe Stunde an die frische Luft und etwas laufen, gestützt auf einen Rollstuhl versteht sich.
Besuch aus Berlin
Natürlich hatte ich in der Zeit auch Besuch von meiner Familie aus Berlin. Meine Tochter, damals 15 Jahre alt, hatte spontan beschlossen, mit dem Zug nach Münster zu reisen, um mich zu besuchen.
Ohne Begleitung. Sie ließ sich nicht von dieser Idee abbringen und mein Mann und ich gaben nach, war sie ja schon vorher oft genug alleine nach Dortmund gefahren und außerdem in Berlin nahverkehrserprobt und -gestählt.
Das Handy hatte ein eingebautes Navi und die Hotline zu meinem Mann und meiner Mutter stand. Ich war gerührt. Und dann stand sie vor mir, eingehüllt in diesen blöden Anzug und küssen durften wir uns auch nicht. Eine verstohlene Umarmung, mehr war nicht erlaubt.
Trotzdem waren es sehr innige drei Stunden. Wir konnten uns endlich wieder in die Augen sehen. Meine mittlere Schwester war auch aus dem tiefsten Schwabenland dazu gekommen und brachte meine schluchzende Lene zum Bahnhof. Denn natürlich wäre sie liebend gerne länger geblieben.
Was ich gefühlt habe, kann ich kaum beschreiben. Es war schön und schrecklich zugleich. Als ich sie nachher noch mal fragte, wie sie diesen Besuch bei mir in Erinnerung hat, sagte sie: „Ja, das war heftig, Mama. Ich habe noch einige Tränen im Zug vergossen. Aber wichtig war für mich, dass ich dich sehen konnte und immerhin gab es von einer netten Schwester ein leckeres Wassereis – Cola-Geschmack.“
„Blöde kack-arsch Mama!“
Auch mein Mann hatte mich einige Male in Münster besucht. Es war schon wirklich sehr belastend, den anderen – auf so völlig unterschiedliche Weise – so leiden zu sehen und nicht viel helfen zu können.
Für ihn wie für mich. Die Sprachlosigkeit war nur schwer auszuhalten. Zwei Welten stießen aufeinander, es war nicht zu beschreiben. Er berichtete von „zu Hause“, obwohl die Ärzte mir strengstens verboten hatten, Aufregungen an mich heranzulassen: Unser damals elfjähriger Sohn hatte während des Sportunterrichts in der Turnhalle einen Kampf mit einem gemeinen Mitschüler auszufechten.
Besagter Mitschüler hatte sich mit einem Freund meines Sohnes angelegt, der einen Kopf kleiner war und nicht gerade sehr kräftig gebaut, eher „Modell musisch begabt“. Wie ein Musketier ging Leander dazwischen, um seinem kleinen Freund zu helfen. Freundschaften sind ihm heilig.
Der Mitschüler wiederum war meinem Sohn körperlich unterlegen, er schrie ihn vor allen anderen an: „Dafür habe ich nicht so eine blöde, kranke kack-arsch Mama ohne Haare!“
Er hatte mich einmal ohne Perücke gesehen, das war jetzt die „Belohnung“.
Auf die ZWÖLF
Die – leider körperbetonte – Antwort meines Sohnes kam prompt. Die Ohren des Kontrahenten glühten und der Lehrer schritt ein. Konsequenz: Anruf des Klassenlehrers und Einberufung einer Konferenz, um über das Verhalten meines Sohnes zu richten. „Gewalt mögen wir an unserer Schule nicht“, leitete er seinen Anruf bei meinem Mann ein, um dann aber doch kleinlaut zu werden, als er die ganze Geschichte hörte.
Es gab keine Konsequenzen und die Eltern haben sich auch nicht über sein Verhalten beschwert, sich aber auch nicht bei uns entschuldigt. Für uns war die Sache erledigt und der Mitschüler aus der Abteilung „Steht-auf-der-Liste-für-den-Kindergeburtstag“ ausgebucht.
Ich konnte das Drama nach der Schilderung durch meinen Mann im weiteren Verlauf leider nur telefonisch kommentieren und unseren Sohn trösten. Als kleines Kind durfte er nicht auf die Station. Im Nachhinein muss ich sagen: Besser so! Das hätte er nicht gut verarbeitet.
Wir fieberten alle den anstehenden Sommerferien entgegen. Dann war die große Familienzusammenführung im Münsterland geplant. Bis dahin mussten wir noch vier Wochen aushalten. Das war lange hin, aber immerhin abzusehen, eine Perspektive.
Oldies but Goldies
Der Moment, als ich endlich nach Hause durfte, war so unglaublich schön.
Die Fahrt im Taxi über die Dörfer im heimischen Münsterland habe ich mit allen Sinnen genossen.
Ich kann mich an die Ankunft vor meinem Elternhaus noch sehr gut erinnern.
Das Bild ist in meinem Kopf fest verankert, wie eine Dauerzeitlupe.
Ich war völlig erschöpft und legte mich sofort im Wohnzimmer aufs Sofa. Kaum lag ich, wurde auch gleich eine Decke über mich geworfen und ein Kissen unter meinem Kopf drapiert. Ich muss sehr schnell eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, war es draußen bereits dunkel geworden.
Um mich rum war eine herrliche Ruhe, das hatte ich lange nicht gehabt. Im Krankenhaus piepste und blinkte immer irgendetwas, jede Stunde betrat irgendjemand mein Zimmer und checkte irgendetwas oder machte sauber.
Meine Eltern saßen im schummerig beleuchteten Wohnzimmer auf ihren kleinen Sofas und schauten fern.
Beide hatten sich Kopfhörer aufgesetzt, um mich nicht zu stören, und hielten Wache. Es war einfach unbeschreiblich niedlich, wie rücksichtsvoll und fürsorglich die beiden waren.
Die „GvH-D-Zeit“ danach
Die Zeit danach war allerdings geprägt von vielen verschiedenen Interventionen meines Körpers, sogenannten GvH-D, Graft versus Host-Reaktionen (das sind laienhaft formuliert Abstoßungsreaktionen des alten, eigenen Immunsystems gegen das neue).
Angefangen mit Hautausschlägen und heftigen Blasenschmerzen, die so schwerwiegend waren, dass ich später Morphium bekam und auch auf Cannabis zurückgreifen musste.
Die Taxifahrer, die mich zur Nachsorge fuhren, mussten immer auch eine „Pinkelpause“ im Freien einplanen. Ich kenne jedes „Stille Örtchen“ im Grünen auf dem Weg nach Münster, glaub mir.
Das Körnerkissen wurde zum dauerhaften Wärmepaket gegen die Schmerzen.
Außerdem musste ich künstlich ernährt werden und hatte kaum noch Muskeln, trotz Ergometer. Das Radfahren, auf das ich mich schon so gefreut hatte, musste noch lange warten. Erst 16 Monate später konnte ich wieder auf den Sattel meines geliebten Drahtesels, meine „Lady“ steigen. Für eine Westfälin/Münsterländerin eine äußerst empfindliche Einschränkung.
Als das alles überstanden war, kamen eine Lungen- und eine Augen-GvH-D dazu, mit denen ich noch heute meine Probleme habe, Es wird aber immer besser.
Mein mich jetzt betreuender Arzt (in Berlin) ist ein ausgewiesener GVH-D-Spezialist, noch vor wenigen Jahren wusste ich nicht, dass es so ein Fachgebiet überhaupt gibt, heute ist es ein wichtiger „Anker“.
Verhaltensregeln retten Leben
Die häusliche Umstellung mit vielen Regeln zur Hygiene fielen mir nicht schwer. Nur das Essen war nicht so einfach. Mir schmeckte wenig. Hochkalorische Ernährung war eine wichtige Ergänzung meines Speisplans, als ich endlich die künstliche Ernährung abstellen durfte.
Einige Informationen dazu findest du auch hier: Du brauchst – Andere Ernährung – Zellenkarussell
Mein Cousin sagte mir einmal: „Viele Patienten, die die Transplantation nicht überleben, haben sich nicht genau genug an die Vorgaben gehalten.“
Dazu zählen insbesondere: die strenge Hygiene (wie zum Beispiel: alle drei Tage das Bettzeug wechseln, ein eigenes Handtuch, getrennt von den anderen, verschiedene Lappen für verschiedene Bereiche – besonders in der Küche – die immer gewechselt werden müssen, nicht staubsaugen etc.), der Umgang mit Menschen (keine Küsse und Umarmungen) und die sehr genau vorgegebene Ernährung.
Jede Abweichung/nicht Einhaltung kann Überreaktionen auslösen und innere Infekte triggern. So habe ich es zumindest verstanden.
„Das Immunsystem ist so geschwächt, dass jeder Infekt tödlich enden kann. Wenn du dich richtig schützt, bist du auf der sicheren Seite.“, erklärte er mir. Meine Familie (speziell meine Mama) und ich haben ihr Bestes gegeben und wir haben es gemeinsam geschafft.
Ein Mundschutz, wie ihn seit Corona jeder trägt, war mein festes Accessoire. Damals wurde ich nur viel mehr angeglotzt. Häufig genug wurde nur wegen des Mundschutzes, die Straßenseite gewechselt. Die meisten wussten nicht, dass ich mich schützen muss, aber keine ansteckende Krankheit haben. Was ein Mundschutz kann und bedeutet weiß inzwischen jeder. So ändern sich die Zeiten – und die Trends. Schmunzel.
Einige Parallelen zum Leben in der Pandemie und meine Beobachtungen dazu habe ich hier zusammengefasst: Leben im Ausnahmezustand: Kommen Krebspatienten besser mit dem Shutdown klar? – Zellenkarussell
Der Spender und ich – Vorsichtige Annäherung
Was mir ganz, ganz wichtig ist und wozu ich an dieser Stelle eindringlich aufrufen möchte: Geht in euch und lasst euch bitte typisieren.
Es ist wirklich ganz einfach.
Mein Spender hatte sich mit 18 Jahren dazu entschlossen. Wir haben uns zwar noch nicht persönlich kennen gelernt, aber einen sehr netten und regen E-Mail-Kontakt. Das ist nicht unbedingt üblich, aber schön.
Manche Spender wollen auch wirklich „nur“ spenden und keine „weitere Verantwortung“ übernehmen, übernehmen müssen. Das ist auch völlig in Ordnung und sollte unbedingt respektiert werden. Nimmt man dann aber Kontakt auf, ist das ein besonders zartes Pflänzchen.
Diese Beziehung verlangt viel Fingerspitzengefühl, von beiden Seiten. Wenn es dann aber gut klappt, die Chemie stimmt, ist es ein echter Gewinn.
Ich wünsche es jedem, sowohl dem Spender als auch dem Empfänger, dass das dann so respektvoll funktioniert wie bei uns. Ich habe Einblick in ein anderes Leben gewonnen und dabei schon jetzt viel gelernt.
Und noch eins: Diese Therapie ist keine, die man auf der sprichwörtlichen „linken Arschbacke“ bewältigt. Sie ist eher etwas für Ausdauer-Charaktere und Menschen, die keine Probleme haben, sich für eine gute Sache an Regeln zu halten, die nicht jedem schmecken (Stichwort: Essen … grusel).
Will sagen: Nimm alles ernst, was dir die Ärztinnen, Schwestern und Pfleger sagen. Halte dich daran. Bitte. Mir hat es geholfen.
Lesetipps für dich:
Der Hoffnungsstreif am Krebspatientenhorizont – Die Studienteilnahme – Zellenkarussell
Leben im Ausnahmezustand: Kommen Krebspatienten besser mit dem Shutdown klar? – Zellenkarussell
Kleiner Tipp:
Annette Mertens – eine Bloggerfreundin – schreibt in ihrem Blog „Knochenmarktransplantation-light“ über ihre Erfahrungen mit dieser Therapie.
Lies gerne mal rein bei ihr. Hier der Link.
Das Interessante bei Annette: Sie schreibt aus zwei Perspektiven:
a) der Biologin und b) der Betroffenen (Knochenmarktransplantation).
Ihr Motto: Mehr Informationen, weniger Angst.
Inzwischen hat sie auch einen Roman dazu herausgebracht.
Titel: „Annas Blut“. Folge einfach diesem Link und du erfährst mehr über das Buch, das auch bei Amazon erhältlich ist, ich habe es mit Freude gelesen.
2 Gedanken zu „Gesucht: Ein genetischer Zwilling für die Stammzelltransplantation“
Ich habe in diesem Monat Juni 2017 unglaubig stark an Dich gedacht, für Dich alle Engel des Himmels angebetet. In Dir war so viel Mut, es war sehr beeindruckend. Und Du hast es geschafft. Du hast mir auch sehr gefehlt, denn – ich hatte es Dir nicht gesagt, um Dich nicht traurig zu machen, auch wenn Deine Gedanken und Sorgen ganz woanders lagen, was richtig und selbstverständlich war – ich hatte mir eigentlich gedacht, Du wirst zu meiner Hochzeit am 17.06.2017 meine liebe Trauzeugin sein… Aber Du warst doch dabei, denn Du warst die Einzige, außer meiner Mutter, die ich zu einer Brautkleid-Anziehprobe dabei haben wollte.Das Kleid, das Du gesehen hattest, habe ich auch getragen.
Es ist schon verrückt, wie präsent das alles noch ist, liebe Susanne. Ich wäre so gern dabei gewesen. Und: In dem Kleid sahst du einfach hinreißend aus :-), <3! "Bombe", würde Motsi Mabuse sagen 😉