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Was von der Beziehung übrig bleibt


Von Liebe, Libido und Sex nach einer Krebsdiagnose

Warum fällt es den meisten Erkrankten schwer, über eine Nachwirkung zu sprechen, die fast alle betrifft und die eigentlich die schönste Sache der Welt ist: das Liebe machen? Ich finde das trifft es besser (obwohl etwas „old school“ formuliert) als das kurze Wörtchen Sex.

Neben dem rein geschlechtlichen Akt geht es dabei eben auch um die Beziehung selbst, das Vertrauen und die Liebe füreinander. Nach dem Satz: „Sie haben Krebs.“ wird alles hinterfragt, was vorher eine feste „Paarbank“ zu sein schien. Es fängt mit einem anderen Körpergefühl an, dann kommen Unsicherheiten, unausgesprochene Erwartungen, falsche Annahmen sowie Schuldgefühle dazu. Das Selbstwertgefühl bekommt einen tiefen Riss.

Wenn das nicht angesprochen wird, sich jeder in seine Ecke verkriecht und die Sprachlosigkeit in die Beziehung Einzug hält, ist die Trennung nicht mehr weit zumindest aber das Auseinanderleben. An Sex ist nach der Diagnose und während der Therapie oft gar nicht mehr zu denken. Gesund werden, ist das Ziel, dem alles andere untergeordnet wird. Alle Hoffnung ruht auf der Zeit nach der Therapie, wenn alles vorbei ist. Aber ist es das auch?

Die bange Frage: „Wird es wieder wie vorher werden?“ beschäftigt nicht nur junge Menschen. Dennoch sprechen nicht wenige Jüngere reiferen Menschen und damit auch älteren KrebspatientInnen und -Patienten ganz ab, sich überhaupt noch für Sex zu interessieren. Das ist auch der Grund dafür, dass die Frage nach dem bisherigen Sexleben im Sprechzimmer der Onkologen häufig gar nicht erst gestellt wird.

Dabei ist doch der Sexualtrieb einer der Grundbedürfnisse des Menschen und ein Gradmesser für Lebensqualität. Stattdessen heißt es dann beispielsweise: „Ach, Krebspatienten sind doch alle alt, die haben keinen Sex mehr.“ Aber dazu später mehr.

Zusammen zum Arzt gehen, ist keine gemeinsame Paaraktivität

Die Partnerschaft ist mehr als eine gelebte Checkliste von Alltagsdingen und gemeinsamen Arztbesuchen. Die nehmen allerdings nach einer Diagnose einen großen Raum ein, einen zu großen, wie ich finde.

Als ich mich mit Frau Prof. Zimmermann von der Uniklinik Hannover dazu in meiner Podcastfolge #20 – „Bye, bye, Sex?!.“ für „Nellas Neuaufnahme“ unterhielt, brachte sie genau diesen Aspekt mit ein. „Ich sage immer zu meinen Paaren: Zusammen zum Arzt gehen, ist keine gemeinsame Aktivität. Also da würden wir uns schon etwas anderes wünschen.“ Absolut. Diese Art von „Date“ ist nichts, was das Herz höherschlagen lässt.

Ich sage mal so: Wenn ihr es zusammen zum Arzt schafft, dann vielleicht auch in ein schönes Café.

Räume, Rollen, Randnotizen

Mit meinem Mann habe ich es damals so gemacht, dass wir versucht haben, Zeiten und Räume zu finden, zu oder in denen wir über die Erkrankung gesprochen haben und genauso andersherum. Wir wollten auch mal „frei haben“ von dem Thema. Wenn es ging, waren wir unterwegs und haben kleine Ausflüge gemacht.

Ich habe sehr darauf geachtet, nicht nur auf meine Erkrankung reduziert zu werden. Schließlich hatte ich noch andere Themen im Kopf, Pläne und Ideen. Alles, was ich selbst machen konnte, wollte ich auch tun. Obwohl das öfter zu Spannungen führte. Die Angst um mich war immer gegenwärtig, genauso wie mein bekannter Hang, mich zu überfordern.

Darüber hinaus hatte ich noch andere Rollen auszufüllen und dazu gehörte es neben Ehefrau, Geliebter, Mutter, Tochter und Schwester auch als Ratgeberin und Ansprechpartnerin für meine Freunde da zu sein.

Sie durften und sollten mir auch unbedingt von ihren Problemen, Sorgen und Plänen erzählen. Wer war ich denn, dass ich als einzige einen Anspruch auf Kranksein oder sich schlecht fühlen hatte? „Entschuldige, dass ich dir jetzt was vorjammere, dir geht es ja viel schlechter als mir.“, solche Sätze habe ich grundsätzlich abgeschmettert.

Lachen und Fröhlichkeit standen und stehen immer ganz oben auf meiner Liste. Ohne Humor und Leichtigkeit hätte ich das alles sicher nicht so gut gemeistert.

Mein Onkel sagte einmal zu mir: „Nella, du machst es uns wirklich leicht, mit dir und der Diagnose umzugehen.“ Bis dahin, hatte ich darüber überhaupt nicht nachgedacht.

Aber zurück zur Zweierbeziehung. Wenn es dir also gelingt, dich nicht komplett einzuigeln, machst du, macht ihr schon eine Menge richtig.

Was übrigens gerade am Anfang bei vielen Paaren zu beobachten ist, ist die sogenannte Kohäsion, also das Zusammenrücken. „Wir beide schaffen das. Wir halten zusammen.“ Das ist doch mal eine gute Nachricht.

Schwierig wird es dann, wenn sich die Rollen auf längere Sicht verschieben, der eine Part viele Aufgaben des anderen übernimmt, sie zu seinem Ursprungspaket noch „on top“ kommen. Dazu gehören Bereiche wie die finanzielle Absicherung – ein Einkommen fällt teilweise oder sogar ganz weg –, der Haushalt, die Betreuung der Kinder und natürlich auch die Planung von gemeinsamen Reisen (wenn überhaupt möglich) und Unternehmungen.

Angehörige brauchen „Ich-Zeit“

Als eine sehr mitfühlende Psychoonkologin meinem Mann folgendes riet: „Sie brauchen einfach mehr „Ich-Zeit“, konnte der sich einen kräftigen Lachimpuls nicht verkneifen. „Wann soll ich das für mich realisieren? Wie stellen Sie sich das vor? Ich bin selbstständig und kann mir nicht einfach ein paar Tage oder auch Stunden frei nehmen. Die „Ich-Zeit“ verwende ich für das Familienmanagement: Hausaufgaben- und Schulbetreuung, Kindertaxi und Haushaltsabläufe.“

Ich gebe offen zu, ich habe erst im Nachhinein begriffen, was er da geleistet hat. Die Diagnose zieht – wie ich bereits erwähnte – alle Aufmerksamkeit und Kraft ab. Das Ziel ist erst einmal Überleben. Alles andere ist zweitranging. Das war jetzt mein äußerst anspruchsvoller Job.

Trotzdem waren wir immer ein Team. Er hat dazu im Hintergrund den ganzen Papierkram für die Versicherungen und den Arbeitgeber gemanagt, jede Studie gelesen, die es zu meiner Erkrankung gab. Die Gespräche mit Ämtern und Ärzten habe meist ich geführt, ich wollte die Zügel in der Hand haben. Das war mir sehr wichtig. Gut vorbereitet und informiert war ich immer.

Oft haben wir uns gefragt: Wie machen das Menschen, die niemanden haben oder die es einfach nicht packen, weil sie viel zu schwach sind und Schmerzen haben?

Wenn ich ihn auf den Rat der Psychologin hinwies, winkte er meist ab. „Ruf doch mal Cornelia an. Geh doch mal mit Paul essen.“ Ich musste ihn regelrecht zu Unternehmungen mit Freunden zwingen. Das wurde mit der Zeit etwas besser und war auch nie ein Problem für mich. Im Gegenteil, ich habe mich für ihn gefreut.

In Watte packen, oder: „protective buffering“

Natürlich haben Partner (Angehörige) auch Ängste und Sorgen. Auch darüber solltet ihr als Paar miteinander sprechen. Meist werden diese Dinge aber, um den Erkrankten schützen, ihn oder sie „in Watte zu packen“, nicht verbalisieret. In der Terminologie der Psychologen wird das als „protective buffering“ bezeichnet.

„Ich nehme an, der andere kann damit nicht umgehen, ich habe den anderen, aber nicht gefragt. Das ist nicht günstig und beruht auch wieder nur auf Annahmen“, erklärt mir mein Talkgast.

Berührungen und andere Missverständnis

Und das Thema Sex? Tja, das hat länger Sendepause.

Am Anfang konnten wir schwer darüber reden, weil die Emotionen schnell hochkochten, wir sehr unglücklich mit der Situation an sich waren, aber nie mit uns. Irgendwann haben wir verstanden, was bei dem anderen alles abging. Nur darüber nachzudenken, hilft übrigens nicht viel, da muss man leider miteinander sprechen, sich ein gemütliches Eckchen suchen und Zeit finden.

Das Verrückte ist, dass die Kommunikation häufig geprägt ist von Missverständnissen. Wen wundert´s? Da wird schnell ein Zusammenzucken nach einer liebevollen Berührung als Abwehr gewertet, dabei ist sie meist auf das neue Körpergefühl und Empfindlichkeiten zurückzuführen. Dazu kommt die von mir schon erwähnte Unsicherheit.

Der Krebs ist wie eine Mauer, vor die du läufst und dann benommen zurücktaumelst. Dann checkst du dich innerlich ab: Bin ich noch da? Ist noch alles da? Funktioniert noch alles?

Und schließlich kommt dann auch der Gedanke hoch „Bin ich überhaupt noch attraktiv oder begehrenswert? Mag mich meine Partnerin, mein Partner so überhaupt noch?“ Berührungen werden immer mehr zum Stresstest.

Deine „bessere Hälfte“ ist ebenfalls verunsichert und meint zu wissen, dass es an ihr liegt, sie nicht gewollt ist, sie etwas falsch macht und wertet diese Reaktionen als Abweisung. Ein echtes Dilemma, das zum Teufelskreis werden kann.

Gespräche sind besser als Gedankenlesen

All das spielt sich in den Köpfen ab. Aber: Niemand ist gut im Gedankenlesen. Daher hilft nur der Austausch, das Nachfragen. Einfach ist das nicht immer, aber am Ende sehr befreiend.

Onkologen gehen auf diesen Aspekt selten ein, wenn es um Sexualität geht, steuern sie meist nur die medizinische Zielrichtung an und die lautet: Fertilitätserhalt, oder kurz: Erhalt der Fortpflanzungsfähigkeit. Dass es Patienten gibt, die diese Kinderwunschphase abgeschlossen haben und trotzdem noch an Sex interessiert sind, kommt ihnen nicht in den Sinn. Ich habe das zumindest nicht erlebt, mich hat niemand danach gefragt.

Wer da keine Psychoonkologin oder einen Psychoonkologen hat, stochert im Gefühlsnebel herum und zieht falsche Schlüsse für sich und die Partnerschaft. Das Zauberwort heißt: Verhaltenstherapie oder auch Gesprächstherapie.

Wie gesagt, wer ist schon geübt im Gedankenlesen? Ich bin es nicht. Das fiel mir schon ohne Diagnose schwer, ehrlich gesagt. Als Kind des Ruhrgebiets bin ich konkrete Ansprachen gewohnt, da wird nicht viel drum rum geeiert.

Beziehungscheck: Wie war es denn vorher?

Und da kommen wir gleich mal zum nächsten Punkt, der in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben sollte: Wie stand es denn vorher um deine Beziehung? War da nicht schon einiges im Alltagstrott verschwunden? Waren da nicht schon lange deine Pläne verpufft? Hast du, habt ihr nicht vorher schon aus Bequemlichkeit einiges hingenommen?
 
Ich habe Frauen kennen gelernt, die sich genau aus diesen Gründen nach der Diagnose von ihren Männern getrennt haben. Ohne die Krebserkrankung hätten sie sicher weiter unglücklich rumgewurschtelt. „Du, ich weiß auf jeden Fall, was ich nicht mehr will und was ich noch erleben möchte. Da möchte ich mir nicht mehr reinreden lassen und mache das jetzt selbst – ob mit oder ohne neuen Partner, egal“, vertraute mir eine liebe Mitpatientin in der Reha an. Sicher gibt es das auch bei Männern, keine Frage. Die Krebserkrankung wird zum Katalysator in Beziehungsfragen.

Trennungsgerüchte

Als ich Frau Prof. Zimmermann von meinen Begegnungen und Gesprächen berichte, entgegnet sie mir, dass es dazu sehr widersprüchliche Studien gibt. Mal sind mehr, mal weniger Trennung im Vergleich zu gesunden Paaren zu beobachten. Was aber wohl leider festzustellen sei, ist eine höhere Unzufriedenheit mit der Beziehung, gerade dann, wenn die Erkrankung und die Folgen länger andauern.

„Gerade nach der Therapie möchte der Angehörige wieder zu dem zurück, was mal war. Es soll alles wieder wie früher werden.“, sagt sie.

Kennen wir das nicht auch, die Sehnsucht nach dem davor, die sich allerdings schnell als unerfüllbar erweist. Außerdem fallen die meisten Betroffenen nach der Therapie in ein großes Loch, die Seele schlägt mit aller Macht zu. Da an ein: „Wir beginnen da, wo wir einmal aufgehört haben“ zu denken, ist ziemlich illusorisch.

Mir sagte einmal eine Bekannte: „Da kannst du aber froh sein, dass dein Mann bei dir geblieben ist.“ Als ich entgegnete: „Ja, und er auch.“, hat sie ziemlich kariert geguckt.

Wenn es denn aber so ist, dass du oder dein Partner, deine Partnerin zu dem Schluss kommt, dass sich die Wege trennen sollten, kann das auch eine Art „Lebens-Reset“, ein Neustart sein. Ich tue mich mit dem Wort Chance immer etwas schwer, aber hier passt das hin.

Alles bleibt anders

Du wirst dich mit Sicherheit verändert haben. Das ist doch ganz logisch und nicht unbedingt negativ. Schon allein die Tatsache, dass Zeit vergangen ist, trägt dazu bei. Ganz sicher hast du jetzt auch andere Gedanken zu bestimmten Themen, ordnest sie anders ein. Deine Perspektive hat sich verändert. Die Songzeile: „Lass die anderen sich verändern und bleib so wie du bist.“ (MoTrip: „So wie du bist.“), habe ich nie verstanden. Die Frage ist ja eben: War das früher wirklich alles so wundervoll? Damit meine ich jetzt nicht nur die Beziehung.

Schön wäre es, die Leichtigkeit zurückzubekommen, das stimmt. Aber auch die wächst langsam wieder wie ein zartes Pflänzchen. Mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert zu sein, ist etwas, was sich niemand wünscht. Den Tod verdrängen wir alle gern. Musst du dich dieser Situation aber stellen, schärft sie den Blick und hilft uns vieles neu zu betrachten, neu zu bewerten. Selbst wenn du jemand bist, der keine gute Prognose hat (an diesem Punkt der Therapie stand ich auch schon), ist dein Lebensgefühl da und sollte auch ausgelebt werden. Wie heißt es so schön: Der Moment ist das, was zählt. Und da ist was dran.

Wenn die Schuldfrage in die Beziehung schwappt

Genauso irreführend wie die unausgesprochenen Annahmen, ist die Suche nach der Schuld. „Bin ich schuld an meiner Erkrankung? Was hätte ich anders, besser machen können? Wo bin ich falsch abgebogen?“ oder auch „Ich bin schuld, dass wir uns jetzt mit den Folgen der Diagnose rumschlagen müssen.“

Ich zitiere hierzu mal Frau Prof. Zimmermann: „Es besteht einfach eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir diese Krankheit bekommen (derzeit ist jeder zweite in Deutschland davon betroffen), und, je älter wir werden, umso wahrscheinlicher wird es. Die Erkrankung ist ein Zustand, in den wir geraten sind. Sie ist nicht ein Zeichen dafür, dass wir etwas falsch gemacht haben, man schwach ist oder für irgendeine Verfehlung.“

Selbstverständlich ist es nachvollziehbar, ergründen zu wollen, woher es kommen kann, dass du krank geworden bist, schon allein deshalb, um sich vor einer erneuten Diagnose zu schützen. Da gehe ich mit. Die falschen Schlüsse zu ziehen und schlimmer noch die falschen Entscheidungen auf Grund von Annahmen zu treffen, macht es schwierig.

„Unsere Ehe läuft schon lange nicht mehr gut. Deswegen bin ich erkrankt.“, ist eine dieser Aussagen, die Frau Prof. Zimmermann häufiger hört. Traurig, aber wahr.

Laienhafte Ursachenforschung: ein schwieriges Feld

Besonders eindrucksvoll fand ich das folgende Beispiel, dass Frau Prof. Zimmermann mitgebracht hatte:

„Ich hatte tatsächlich mal eine Patientin, die auch davon überzeugt war, dass die Ehe schuld an ihrer Erkrankung war und die sich dann von ihrem Mann getrennt hat und nach fünf Jahren dann leider erneut erkrankt war und mich dann ganz fassungslos anrief und meinte, sie hätte doch seit fünf Jahren mit ihrem Mann keinen Kontakt mehr gehabt, wieso sie denn jetzt erneut erkrankt sei?“

Diese Einschätzung fällt unter die sogenannten „subjektiven Krankheitskonzepte“ oder wie ich es nenne, das „Ich-weiß-Bescheid-Syndrom“. Du setzt dir irgendetwas in deinem Kopf als Begründung zusammen, weil du Infoschnipsel aus verschiedenen Quellen aufgeschnappt hast und lässt dieses Puzzle ungeprüft als deine Wahrheit im Raum stehen. Die daraus resultierenden Fehlentscheidungen führen meist mindestens zur Verminderung deiner Lebensqualität. Und das ist nicht nur schade, sondern auch unnötig. Die Rückkopplung mit deinem behandelnden Arzt oder deiner behandelnden Ärztin kann dich davor schützen.  

Wieder mehr Nähe spüren, aber wie?

Mich hat natürlich eine Sache besonders interessiert, nämlich die über allem schwebende Frage: Wie kann man das Feuer der Beziehung wieder entfachen? Wie geht das?

Und dann: Gibt es dafür Übungen? Was empfiehlt die Paartherapeutin?

Wann ist die Zeit, in der die Bereitschaft für Nähe wieder wächst?

Einen Zahn muss ich den Partnern und Partnerinnen gleich mal ziehen, die Zeit fürs Loslassen, die eine Voraussetzung für guten Sex ist, tritt nicht sofort nach Therapieende oder nach der Reha ein. Da gibt es keinen imaginären Schalter, den die Betroffen umlegen können. „Jetzt ist doch alles wieder gut.“, ist leider (noch) ein unerfüllter Wunsch.

Was dann kommt, ist fies und kündigt sich nicht an. Ich nenne es „die verflixte dritte Phase“. Da schlägt meist die Seele zu, die Nerven liegen blank. Den ersehnten Schalter umzulegen, gelingt erst Schritt für Schritt und erfordert viel Einfühlungsvermögen von beiden Seiten.

Die Drei-Stufen-Methode

Was aber eine Lösung sein kann, eine, die dir, hilft, ist die dreistufige Methode, die mir Frau Prof. Zimmermann vorgestellt hat.
Sie beginnt mit vorsichtigem Streicheln, sich Erkunden und steigert sich dann immer mehr.


Ganz konkret:
1. Streicheln und Zeit nehmen. Narben vorsichtig berühren, sich gegenseitig leicht massieren. Ein schönes Ambiente schaffen.
2. Die Genitalbereiche dazu nehmen, ohne Sex zu praktizieren.
3. Der Sex, der aber auch anders ablaufen darf als vorher. Dafür gibt es auch wunderbare Hilfsmittel, die du dir einfach und diskret im Netz bestellen kannst. Kreativität ist gefragt. Gleitmittel sind auf jeden Fall hilfreich. Eine schöne Quelle dafür sind „Amorelie“ und Co. Einfach mal googlen. Sich langsam vortasten, das nimmt den Druck raus.

Sex-Mythen und andere Lebensphasen

Außerdem machen wir uns doch nichts vor, gibt oder gab es häufig Phasen in der Paarbeziehung, in der nicht mehr schon die Schritte des Liebsten im Treppenhaus die Schmetterlinge zum Fliegen bringen, man sich die Kleider vom Leib reißt, wenn er oder sie die Wohnungstür hinter sich schließt und sich beide fifty-shades-of-grey-mäßig gegenseitig aufs Bett schmeißen.

Die Zeit nach der Geburt ist meist so ein Moment, wenn der Stress überhandnimmt oder jeder intensiv an seiner Kariere bastelt, die betagten Eltern zu versorgen sind und, und, und. Ein Krebsdiagnose ist auch so ein Stressor nur in einer bedrohlichen Potenz, weil er ans „Eingemachte“ geht, die Sterblichkeit aus der tief verbuddelten Kiste holt. Kurz eine gravierende Belastung, die nicht gerade lustvolle Höhepunkte produziert.

Auch schon vor meiner Erkrankung fand ich es meist äußerst selbstentlarvend, wenn mir andere Frauen ungefragt von ihrem unglaublichen Liebesleben erzählten. „Drei Mal die Woche ist bei uns mindestens Action im Bett. Und bei euch so?“ Nirgendwo wird so viel gelogen, wie bei der berühmten Häufigkeit. Komisch nur, dass ausgerechnet diese Paare inzwischen geschieden sind.

„Das gehört alles zu den zahlreichen Sex-Mythen, die sich tapfer von Generation zu Generation weitergeben.“, meinte mein Podcastgast dazu. „Auch dass ein guter Orgasmus nur der gemeinsame ist, obwohl genau der doch eher die Ausnahme bildet. Dann die Stereotypen, was alle Frauen und angeblich auch alle Männer mögen.“

Ist es nicht eher so, dass sich meist schon vor der Erkrankung wenig über die Bedürfnisse ausgetauscht wurde. Und das soll nach der Therapie dann auf einmal passieren? Etwas schwierig, oder?

Einfach mal fragen: „Was möchtest du? Was möchte ich?“


Informationen über das Sexleben danach
. Oder: „Das ist doch alles Mist.“

Dass es an konkreten Hilfestellungen mehr als mangelt, erlebte ich das erste Mal in der Anschlussheilbehandlung. Da kam ein ehemaliger Bundeswehroffizier, Alter ca. 62 Jahre, so sauer aus einem Vortrag über „Sexualität nach der Prostatakrebs-OP“, dass er auf mich zustürmte und meinte: „Das war einfach nur großer Mist. Nichts, womit ich etwas anfangen könnte. Nella, ich mache das jetzt selbst und mache mich schlau.“ „Mach das, Klaus.“, erwiderte ich leicht perplex. Ein paar Tage später hatte er „seine Jungs“ im Garten der Einrichtung zusammengetrommelt und die Recherche-Ergebnisse vorgestellt.

Es gab danach nur noch ein Gesprächsthema, wie du dir denken kannst. Und natürlich ging er mit seiner kleinen Vortagsreihe in die Verlängerung. Noch drei Mal brachte er sein Wissen an den Mann. Selbst die Ärzteschaft und das Psychoonkologenteam gehörten zu seiner Hörerschaft und wurden echte Fans.

Was Wut manchmal an konstruktiven Energien freisetzt, finde ich immer wieder bemerkenswert.

„Wer keine Kinder mehr bekommen möchte oder kann, ist raus.“

Eine andere Begegnung mit einer sehr aparten Frau und lieben Freundin war leiser und weniger spektakulär, aber nicht minder nachhallend und intensiv.

Theresa ist Mitte 60 und berichtete mir in einem lauschigen Café an einem Berliner See aufgeregt von ihrem letzten Besuch beim Onkologen. Sie war so aufgewühlt, dass sich ihre Stimme leicht überschlug: „Du, Nella, stell dir mal vor, als ich den Arzt vor zwei Tagen fragte, wie ich denn wieder mein Liebesleben in Schwung bekomme, hat der mich angeschaut, als wäre ich eine sexsüchtige Alte, dabei ist man dafür doch nie zu alt, oder?“ Ich stimmte ihr zu, klar. Wir haben noch lange darüber gesprochen und ehrlich gesagt, war sie diejenigen, die mich ermutigt hat, diesen Beitrag zu schreiben.

Logisch, wer keine Kinder mehr bekommt, hat auch keinen Sex mehr. So sieht das aus. Was für ein Blödsinn. Ich bin immer wieder erstaunt, dass wir in unserer ach so aufgeklärten Welt noch in diesen alten Denkmustern verhaftet sind. Meine Gesprächspartnerin musste ebenfalls lächeln und berichtete von einem psychoonkologischen Symposium.

Sie hatte in dieser Fachkollegenrunde genau das erwähnt und wurde milde lächelnd zurechtgewiesen: „Ach, Krebspatienten sind doch alle alt. Sex ist da doch ohnehin kein Thema mehr.“ Als sie daraufhin fragte, ab wenn denn in Zahlen gesprochen damit zu rechnen sei, dass die Lust verschwunden ist, nicht dass sie aus Versehen jemanden darauf anspricht, der schon „drüber“ ist, gingen verlegene Blicke zu Boden.

Vielleicht könnte es helfen, die Betroffenen einfach mal zu fragen, wie sie ihre Beziehung denn leben, was ihnen wichtig ist. Frau Prof. Zimmermann und ich waren uns beide auch sehr einig darin, die Onkologinnen und Onkologen häufiger ganz konkret zu befragen, sie mehr zu fordern. Niemand muss sich dafür schämen.

Denke immer daran: Viele erkrankte Menschen haben Probleme mit dieser lebensqualitätsmindernden Nebenwirkung, du bist nicht allein damit.

Mehr erfahren: Du brauchst – Meinen Ratgeber und das „Angstworkbook“ – Zellenkarussell

Ganz praktisch und ohne Schnörkel – Meine Tipps


Hier nun meine bescheidenen Erkenntnisse und Rechercheergebnisse, die du mit deinem Onkologenteam oder deiner Frauenärztin besprechen kannst.

An die betroffenen Männer: Macht euch bitte selbst mal auf den Weg. Klaus konnte ich leider nicht mehr befragen, wir haben uns aus den Augen verloren. Trotzdem: ein paar Leseempfehlungen und Links findest auch du, lieber Leser unter dem Text.

Den Einsatz von Gleitmitteln hatte ich bereits erwähnt, was sonst gerne von Gynäkologen für die Frau verordnet wird und gut hilft, sind „Estriol“ Estriol – Wikipedia und „Oekolb“ Behandlung mit Oekolp – Rezept über Dokteronline, nur damit du das schon mal gehört hast. Denn ganz im Vertrauen, die Schleimhäute leiden überall, nicht nur im Mund. Trockenheit ist ein großes Problem und kann leicht behoben werden.

Es gibt dazu noch eine Lasertechnik, die sich „Mona Lisa Touch“ nennt und pro Anwendung ca. 250 € kostet – das übernimmt die Kasse allerdings nicht. Das wollte ich zumindest mal erwähnt haben. Also wenn dich das interessiert, hier der Link: Monalisatouch® | Die Lasertherapie. Meist tun es aber auch die verschreibungspflichtigen Cremes, die ich oben erwähnte.

Neben dem Einsatz von klassischen Dildos kannst du dir auch Dilatoren rezeptieren lassen. Zur Orientierung hier ein Link für dich: Vagiwell® Dilators 5 St – shop-apotheke.com. Das sind sogenannte Dehnungsstifte für die Vagina.

Aber bitte alles mit deiner Ärztin oder deinem Arzt besprechen. Ich bin keine Ärztin, das möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich betonen. Nimm es als Inspiration auf oder setze es auf deine Besprechungsliste für deinen nächsten Arztbesuch.

Werde selbst aktiv

Natürlich ist es immer gut, wenn wir selbst aktiv werden und uns diesem Thema stellen. Doch mal ehrlich, wie viele von uns sind wie Klaus? Da gehört schon einiges dazu, sich das zuzutrauen, den Mut zu haben, das vor Publikum anzusprechen.

So groß muss es aber auch nicht werden. Der nächste Termin beim Arzt kommt bestimmt. Sei nicht schüchtern, Sex gehört zur Partnerschaft dazu und macht viel für dein Wohlbefinden und deine Lebensqualität. Wenn es Lösungen für dein Problem gibt, wäre es doch schade, diese nicht zu kennen und auszuprobieren, oder? Das darfst du dir nicht nehmen lassen.


Jetzt bist du dran

„Nella, darüber musst du mal was schreiben. Das geht doch fast allen so, aber niemand redet darüber.“ Ich hoffe, liebe Theresa, du bist zufrieden mit dem Text und dem Talk zu diesem Thema und du auch, liebe Leserin, lieber Leser. Und vergiss nicht: redet miteinander. Jetzt bist du dran, ich habe meinen Auftrag erfüllt.



Über Kommentare freue ich mich natürlich sehr. Auch gerne über deine Tipps und Quellen. Einfach unter dem Text eine Nachricht hinterlassen. Trau dich. Ich freue mich drauf.


Wissens- und Hörenswertes:

Der etwas abgespeckte Beitrag: Von Sex und Liebe nach der Krebsdiagnose – DocCheck ist in diesem Medizinportal erschienen.
Gute Quellen für den Austausch:

Für Männer gibt es natürlich auch sehr aktive Selbsthilfegruppen (da musst du bitte mal in deiner Nähe suchen) oder du schaust mal bei „Cancer Jedi“ und seinem Podcast „Krebst´e eine mit“ auf Instagram vorbei: Krebste eine mit? (@krebste.eine.mit) • Instagram-Fotos und -Videos.
Auch für Männer und ebenfalls von „Cancer Jedi“ ist diese Seite hier: Love Your Nuts – Deutschland – Just another WordPress site, die du auch ohne auf Instagram zu sein, aufrufen kannst.

Dann noch Carsten Witte mit seiner Gruppe „Jung und Krebs“: Wir sind füreinander da – Jung und Krebs e.V. in Freiburg (jung-und-krebs.de).

Und natürlich einfach mal bei Yeswecan!cer yeswecan!cer: Selbsthilfegruppe für Krebspatienten & Angehörige (yeswecan-cer.org) vorbeischauen und die nächste Yes!con YES!CON – 2021 – YES!CON (yescon.org) besuchen: 15. und 16. Oktober 2022, in München. Gleich mal vormerken. YES!CON 3.0 – YES!CON (yescon.org). Da gibt es auch immer einiges zu dem Thema.
DKMS – life: Startseite – DKMS LIFE (dkms-life.de)

Weitere Leseempfehlungen:

Deutscher Krebsinformationsdienst:
Broschüren: Sexualität und Krebs – Links und Bestellhinweise (krebsinformationsdienst.de)


Aus dem Zellenkarussell:

Ein Gastbeitrag meines Mannes über seine Perspektive „Nur ein Angehöriger“ – Zellenkarussell

Familienperspektive Archive – Zellenkarussell






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2 Gedanken zu „Was von der Beziehung übrig bleibt

  1. Liebe Nella, Dein Aufsatz über „Liebe machen“ finde ich sehr umfangreich und auf die wichtigsten Argumente fokussiert! TOP!!
    Es war für mich rührend „uns“ zwischen den Zeilen zu finden und auf unser Gespräch zurückzukommen… Man trifft eher selten so ausführliche und themenbezogene Aussagen, die dabei aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, nämlich: ich, Partner /in, Arzt, Umgebung, Freunde etc.
    DANKE! Ich bin überzeugt es hilft vielen, die sich momentan noch mit diesem Thema verloren fühlen.
    Es ist mir eine Ehre ein wenig beigetragen zu haben! Hab Dich lieb!

    1. Danke, du Liebe. Du hast mich ja auch ermuntert, diesen Beitrag zu verfassen. Das hat mir den nötigen Rückenwind gegeben. Hab dich auch lieb 😉 <3

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