1 Erste Phase - Diagnose2 Zweite Phase - TherapieKommunikationPodcast

Dr. Yael Adler: „Ein Gespräch, das misslingt, kann durchaus mit einem Kunstfehler verglichen werden.“

Für meinen Podcast „Nellas Neuaufnahme“ (Folge #11) ist es mir gelungen, die wunderbare Frau Dr. Yael Adler vors Mikrofon zu holen. Was wir so alles besprochen haben, kannst du hier nachlesen oder/und die Tonspur anhören, die ich dir unten verlinkt habe.

„Du hörst mir einfach nicht zu.“ Oder: Was läuft schief in der Arzt-Patienten-Beziehung?


In dieser Episode – du ahnst es bereits – geht es um das Schwierigste in diesem besonderen Verhältnis, nämlich die Kommunikation.

Für dieses Thema habe ich mir eine besondere Gästin eingeladen, auf die ich mich schon seit Wochen freue, sie ist Bestsellerautorin und Dermatologin: Frau Dr. Yael Adler.

Sie hat inzwischen drei Bücher veröffentlicht:
1. „Haut nah“
2. „Darüber spricht man nicht“

Und 3. ihr ganz aktuelles Werk:
„Wir müssen reden, Frau Doktor“

Alle drei sind Spiegel-Bestseller geworden.
(Die Links zu den Veröffentlichungen findest du unten, wie immer.)


Wie haben wir uns kennengelernt?

Ich hatte die Freude und das Glück Sie, Frau Dr. Yael Adler, Ende August im Rahmen einer Veranstaltung von DocCheck („Med im Kornfeld“) – einem renommierten Medizin-Portal – im Rheinland kennen zu lernen. Sie sprach unter anderem über die Besonderheiten einer „Arzt-Patienten-Beziehung“ und was da so alles schieflaufen kann.

Frank Antwerpes,
Geschäftsführer DocCheck
Dr. Yael Adler. „Med im Kornfeld“,
Keynote – Körpertabus, die unter die Haut gehen – Darüber sprechen als erster Schritt zur Heilung

In ihrem aktuellen Buch schreibt sie genau darüber und hat viele Beispiele aus der Praxis, Hintergründe zum Arbeitsumfeld und amüsante Typologien zwischen die Buchdeckel gepackt. Ich habe meinen zu mir passenden Patiententyp übrigens auch erkannt. Wie der heißt, verrate ich nicht …

Das sehr junge Publikum bei „Med im Kornfeld“  – ein „Meet and Greet“ der besten Healthcare Influencer Deutschlands – kam fast ausschließlich aus medizinischen Berufen.

Ich war, vermute ich, die einzige Exotin. Ich war die Vertreterin der „anderen Seite“, die Patientin – aber das wussten nur ganz wenige und ich kam mir bisweilen vor wie eine „verdeckte Ermittlerin“. Als DocCheck-Autorin und Bloggerin war auch ich „zugelassen“ und Teil dieses Events.

Daher freute ich mich besonders über die Tipps für ein besseres, respektvolles Behandlungsgespräch. Was können Ärztinnen und Ärzte tun, um zu zeigen, dass die Beziehung stimmt?

Ach übrigens – bevor es in den Part der Fragen und Antworten geht –ich konnte sehr schnell meinen vorbereiteten Gesprächsleitfaden zur Seite legen. Viele meiner Fragen beantwortete sie schon, ohne es zu wissen. Sie ist eben sehr sattelfest in ihrem Metier und weiß sehr genau, worauf es ankommt.

Kleine Anmerkung noch: Um gleich zu sehen, wo sich meine Fragen und Frau Dr. Adlers Antworten „verstecken“, habe ich unsere Namenskürzel YA und NR eingesetzt.

Nun aber meine erste Frage an Frau Dr. Adler:
Wie ist das nun, was können Ärztinnen und Ärzte besser machen?

„Sei erst Mensch, dann Arzt“  Beziehungen müssen wachsen können

Part von YA
Sie vergleicht diese Beziehung mit einer Paarbeziehung – ohne den libidinösen Anteil versteht sich. Hier laufen ähnliche Verhaltensmuster ab wie das erste Kennenlernen, das Annähern, das Aneinandervorbeireden, der Streit/Konflikt, das Verständnis und eventuell irgendwann auch die Trennung.

Natürlich gibt es da eine Menge, was Ärztinnen und Ärzte machen können. Das steht einiges auf ihrer Liste. Für Frau Dr. Adler ist es aber am wichtigsten, in Beziehung zu gehen, eine Beziehung aufzubauen.

Dafür braucht es allerdings Zeit, die nicht immer im ausreichenden Maße in der Kassenmedizin vorhanden sei.

Für sie gilt der Grundsatz frei nach Voltaire, Philosoph und Schriftsteller aus dem 18 Jahrhundert: „Sei erst Mensch, dann Arzt.“ (Quelle: Der Mann mit den vierzig Talern, XI. / Der Chirurg).  Das bedeute eben auch, nicht zu dozieren, sondern zu kommunizieren. Gerade das würde aber von einigen Ärztinnen und Ärzten verwechselt.

Erst jüngst, im Rahmen einer ihrer Fortbildungen, hatte sie dazu ein kleines Meinungsgefecht zwischen ihr und einem Arzt, der meinte, es müsse reichen, wenn er alles erkläre, dafür wäre Zeit da und das reiche auch so. Für sie ist das aber eben nicht die Qualität einer richtigen Arzt-Patienten-Beziehung, die braucht ihre Zeit, wie jeder andere Beziehung auch. Nur zu dozieren reiche nicht.

Raus aus der Sachebene – Gefühle formulieren


Part von NR
Um das Thema Zeit gleich aufzugreifen, frage ich nach, was sie empfehle, wenn die Ärztin, der Arzt demonstrativ auf die Uhr schaut oder die Augen nach oben rollt.

Part von YA
Da helfe es, sich aus der Sachebene herauszulösen – also dem Gesprächspart der Übermittlung von Fakten zum Beispiel – und in die emotionale Eben zu wechseln. Das bedeutet, direkt anzusprechen, was gerade in einem vorgeht und diese Beschreibung in sogenannten Ich-Botschaften verpacken. (Vielleicht: „Ich kann ihnen gerade nicht ganz folgen, das geht mir etwas zu schnell.“ – Vorschlag von mir dazu.)

Die Kunst sei dabei, nicht in den Vorwurfsmodus zu verfallen. Wie gesagt, diese Beziehung funktioniert ähnlich wie eine private Partnerschaft. Wenn wir angreifen, macht auch unsere Partnerin, unser Partner zu.
Es sei immer besser, Raum und Chance für eine Reflektion zu geben.


Das Erstgespräch ist der Schlüssel

Wenn man aber wiederholt den Eindruck habe, das Gespräch habe eher die Funktion, den Tag zu verwalten, dann solle man sich auf die Suche nach einer anderen Beziehung machen. Denn eine, die dauerhaft zur Belastung werde, mache krank, sie unterdrückt das Immunsystem.

Für sie ist das Gespräch die erste Säule der Heilung. „Ein Gespräch, das nicht gelingt, kann durchaus mit einem Kunstfehler verglichen werden“, erläutert sie mir.

Schon von Asklepios, dem antiken Gott der Heilkunst, wird folgender Satz überliefert: „Heile erst mit dem Wort, dann mit der Arzenei, dann mit dem Messer.“

Okay, das habe ich verstanden, das Erstgespräch ist der Schlüssel für alles, was danach kommt, hier werden die Weichen für die Beziehung gestellt.

Fremdgehen erlaubt

Part von NR
Was mache ich aber, wenn ich gerne eine Zweitmeinung einholen möchte, mich das aber nicht traue? Viele Patientinnen und Patienten haben dann die Befürchtung, dass das als Vertrauensbruch gewertet wird, die Beziehung nachhaltig belastet und unterlassen es deswegen. Das habe ich öfter erlebt.

Part von YA
„Fremdgehen ist erlaubt und erwünscht“ macht sie gleich klar, gerade bei schwerwiegenden Erkrankungen. Um dieser Aussage Nachdruck zu verleihen, zitiert Sie einen Fall aus Ihrem Buch „Wir müssen reden, Frau Doktor.“

Ein (Privat)Patient und dazu noch Freund (Anfang 50) würde, wären er und seine Frau – beide Mediziner bzw. Medizinerin – der Einschätzung des ersten Arztes gefolgt sein, also der Erstmeinung, heute nicht mehr leben. Dieser Freund hatte ein Prostatakarzinom in einem fortgeschrittenen Stadium, für das angeblich keine Chemotherapie mehr greifen würde. Nach mehreren Gesprächen mit verschiedenen OnkologInnen haben sie dann doch jemanden mit der passenden Therapie gefunden. Dieser Freund gilt, stand heute, als geheilt.

Dieses Beispiel aus ihrem näheren Umfeld zeige, dass es zwar schön sei, zu vertrauen, aber eben nicht blind zu vertrauen. „Wenn man sich nur verwalten lässt, kann das Ganze schief gehen.“

Natürlich habe nicht jeder das Glück, eine Ärztin, einen Arzt im Familien- oder Freundeskreis zu haben. Deswegen sei es auch so wichtig, sich in guten Zeiten mit seinem Hausarzt, seiner Hausärztin, zu verbinden, damit diese/r in schweren Zeiten sein KollegInnen-Netzwerk anzapfen kann, um den/die passende/n Facharzt/ärztin zu finden. Auch eine gute Empfehlung, um nicht zwischen die Stühle zu geraten.

Glück und Begleitung – Faktoren, die unterschätzt werden

Part von NR
„Der Arzt wird schon wissen, was er tut.“ Diese Einstellung ist nicht unbedingt zu empfehlen, ergänzte ich. Vielen Patientinnen und Patienten sei nicht klar, wie viel Glück in die Behandlung reinspielt. Vieles hängt eben auch mit dem Haus selbst zusammen, an dem die BehandlerInnen arbeiten, mit den Erfahrungen, die die ÄrztInnen gemacht haben, welcher Therapie sie persönlich den Vorzug geben und so weiter.  

Part von YA
Auch deshalb rät Frau Dr. Adler dazu, sich immer jemanden an die Seite zu holen, als Verstärkung. Sie findet sogar, dass auch das, also die Begleitung einen Teil der Heilung ausmacht.

Sie hat selbst in Corona-Zeiten immer Begleitungen im Sprechzimmer zugelassen. Das ist für sie ein sehr wichtiger Aspekt, um eine gute Behandlungssituation zu schaffen, in der sich der Patient, die Patientin auch gut aufgehoben fühlt.

Das gute alte Händeschütteln, mehr als ein Ritual

Part von NR
Teil der Begrüßung im Sprechzimmer war vor Corona auf jeden Fall der Händedruck, den Frau Dr. Adler gerne wieder zurück hätte. Darüber schreibt sie auch in ihrem aktuellen Buch. Warum ist dieses gute alte Ritual ihrer Meinung nach so wichtig? Warum vermisst sie ihn?

Part von YA
Der Händedruck symbolisiert schon urgeschichtlich, dass ich mit friedlichen Absichten auf jemanden zugehe. Ich demonstriere durch meine offene Hand, dass ich keine versteckte Waffe mit mir führe. Gleichzeitig ist das Händeschütteln eine sehr einfache Art der Diagnostik.

Aus einem Händedruck kann man so einiges ablesen. Zum Beispiel welchen Charakter mein/e PatientIn hat (große Geste = braucht viel Aufmerksamkeit, fester Händedruck = selbstbewusst, schwitzig—schwach = aufgeregt, angespannt), das berufliche Umfeld (ist er/sie HandwerkerIn oder eher nicht, arbeite er/sie viel draußen). Bei trockenen Händen weiß sie schnell, dass sich dieser Mensch zu viel wäscht und eventuell eine Neurodermitis vorliegt. All das verrät ihr ein Händerück.

Er ist eine sehr schöne Form der spürbaren Verbindung. Berührung tut gut und baut Stress ab.

„Schaut auf den Patienten, nicht in den PC“

Das Händeschütteln gehört zur Körpersprache. Damit landen wir dann schnell bei dem, was auch als ein weiterer Tipp an die Ärztinnen und Ärzte verstanden werden darf. Liebe Kolleginnen und Kollegin, beobachten Sie die Körpersprache ihres Gegenübers und schauen sie nicht so viel in den PC. Frau Dr. Adler löst das so, dass sie eine Dokumentationsassistentin – ein Luxus, der sich für sie auf jedenfalls lohnt – im Sprechzimmer hat, die alles mitschreibt.

So kann sie dem/der PatientIn besser zuhören, ihn/sie beobachten. Wie reagiert er/sie, versteht er/sie, was ich sage? Verfärbst sich die Haut (hektische Flecken)? Schaffen wir es, eine vertrauensvolle Verbindung aufzubauen?

Um das zu unterstützen, setzt sie sich schräg neben ihren Patienten, ihre Patientin über Eck am Tischende hin und lässt damit einen Fluchtweg offen, das schafft Weite, aber auch Zugewandtheit.

Das sei besser als konfrontativ mit einer breiten Tischplatte dazwischen.

Augenhöhe schaffen geht ganz leicht

Die Kriterien für eine gute Beziehung seien ja eben auch Offenheit, Neugierde, Wertschätzung, Respekt und Augenhöhe. Letzteres meint sie nicht nur im übertragenen Sinne, sondern körperlich, in dem wir uns tatsächlich in die Augen schauen können.

Der Patient, die Patientin soll sich fühlen und gesehen werden wie ein Mensch. Er sei eben auch mehr als Patient/Patientin und sowohl sie als auch er/sie seien eben gleichwertige Partner in dieser Beziehung. Sie sei ihm/ihr in dieser Situation vielleicht mit ihrem Wissen überlegen, aber eben nicht als Mensch.

Das koste natürlich alles Zeit. Macht man dies aber gleich zu Beginn gründlich, spare das später durchaus Zeit, weil man schneller anknüpfen kann.

Für mehr Durchblick und mehr Sicherheit

Mein Ratgeber „Warum sagt mir das denn niemand? – Was Du nach einer Krebsdiagnose alles wissen musst.“, 168 Seiten mit sehr praktischen und persönlichen Tipps für dich und deine Angehörigen. Ebenfalls in einer neuen Auflage, mein „Angstworkbook“ .

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Gleichberechtigte Partnerschaft

Part von NR
Eine perfekte Überleitung zu meiner nächsten Frage: Wie kann ich vermitteln und zeigen, dass ich mehr bin als Patientin, als Patient? PatientInsein ist ja nicht mein Beruf. Wie kann ich zeigen, dass ich mehr bin als meine Patientenakte?

Part von YA
Dahinter verbirgt sich so eine Art Selbstschutz des Arztes, der Ärztin. Im Hintergrund laufen auch viele Dinge ab, die nicht offensichtlich sind: Eine Arzthelferin ist krank geworden, die Steuererklärung sitzt im Nacken, das Wartezimmer ist voll, und, und, und.

Für sie sind das alles Erklärungen, die sie aber nicht gelten lässt. Wenn das aber so sei, dann helfe es, das auch mal anzusprechen, wie oben bereits erwähnt: Sachebene verlassen, Gefühle kommunizieren und der Beziehung eine Chance zu geben, das Gegenüber wachzurütteln. Es sei auch empfehlenswert, mit einem gewissen Selbstbewusstsein in das Behandlungsgespräch zu gehen. Sich auch als Partner fühlen und so in das Gespräch zu gehen.

„Anamnese ist kein Spaßprogramm“

Auch hier gibt es gewisse Spielregeln, die man beherzigen kann, um die begrenzte Zeit sinnvoll zu gestalten.
Dazu gehöre natürlich auch die berühmte (Frage-)Liste, die man sich vor dem Gespräch macht und diese auch gleich am Anfang ankündigt. „Ich habe Ihnen heute fünf Fragen mitgebracht.“ Dabei am besten das Wichtigste zuerst nennen.

Die Medikamentenliste (inklusive Dosierung und Einnahmezeit) mitnehmen, die Vorbefunde. Eventuell ein Schmerz-/Beschwerdetagebuch, beobachtete Körperreaktionen zusammenfassen und gut darlegen, ohne dabei auszuufern.  Das helfe sehr bei der Anamnese, die kein Spaßprogramm, sondern ein entscheidender Bestandteil der weiteren Behandlung. Auch eine Begleitung dazu mitzunehmen.

„Licht an beim Sex“

Für Frau Dr. Adler spielt die Beobachtung des eigenen Körpers, die Verantwortung für ihn eine große Rolle. Wie riecht er, wie schmeckt er, wie verfärbt er sich? Unter HautärztInnen gilt die Empfehlung: „Beim Sex immer das Licht anlassen.“

Dabei sind schon Veränderungen an Körperstellen aufgefallen, die man selbst selten sieht. Eine Patientin hat so ihrem Partner das Leben gerettet, weil sie eine schwarze Stelle zwischen den Beinen entdeckt hatte, die sich später als Melanom herausstellte und gut entfernt werden konnte. Andere umkringeln vor der Hautkrebsvorsorge liebevoll auffällige Hautstellen mit wasserfestem Edding bei ihrem Partner/ihrer Partnerin

(Learning: Immer einen wasserfesten Stift neben das Bett legen. Schmunzel.)

Schuldgefühle sind fehl am Platz

Bei allem, was man sonst so für sich tue, ob nun mit Sport oder Bewegung und natürlich Ernährung, sei es immer noch wichtig das Leben zu genießen, man darf durchaus auch mal über die Stränge schlagen.

Die eigene Mitschuld bei einer Erkrankung zu suchen, führe dabei zu nichts. Gerade bei einer Krebserkrankung gäbe es reichlich Mythen und Vorurteile. Selbstverständlich gäbe es einige Verhaltensweisen (Rauchen und Übergewicht), die Entwicklungen begünstigen, ein gewisses Risiko befördern, letztlich spielen aber immer so viele andere Faktoren wie zum Beispiel die Genetik/Veranlagung und die Umwelteinflüsse oder einfach nur Schicksal mit rein, die niemand direkt beeinflussen kann.

So kann jemand der „alles richtig“ mache, perfekt lebe, schwer erkranken und einer, der auf gar nichts achte, spät oder sogar nie krank und sehr alt werden. Da gäbe es keine Regel. Manchmal habe man eben einfach nur Pech oder hoffentlich Glück.

Sie betont, dass niemand mit einem Schuldgefühl rumlaufen solle. Ihr kommt es darauf an, Menschen zu stärken, ihr Buch sei daher auch als Patientenstärkungsbuch“ angelegt. Jeder solle mündig mitreden können, seine Patientenakte kennen, sich über seine Patientenrechte und -pflichten informieren.  

„Habe ich das richtig verstanden?“ – Feedback geben

“Ich darf von meinem Arzt auch etwas verlangen. Wie in einer gleichwertigen Partnerschaft.“ und „Ich darf fordern und sagen: Erklären sie mir die Diagnose, schreiben oder zeichnen sie es mir doch mal auf, in Denkgeschwindigkeit.“ Das ist ihr ein großes Anliegen.

Sehr gut sei es auch, am Ende noch mal das Gehörte und Verstandene mit eigenen Worten zusammenfassen. „Habe ich das richtig verstanden, Sie empfehlen … das läuft dann so und so ab, ja? … “

Dies ist auch ein gutes Feedback für die Ärztin, den Arzt, dann weiß er, ob alles wie erklärt auch angekommen ist oder er vielleicht noch an sich arbeiten muss.

Rollenspiele und Workshops

Part von NR
Für mich sind Arztgespräche und Visiten auch so etwas wie Meetings in der alten Welt. Da habe ich mich auch immer vorbereitet und nehme den Termin ernst. Hier geht es ja um noch viel mehr, nämlich um mich und manchmal eben auch um mein Leben., das sollte mir doch eine gewisse Vorbereitung wert sein.

Im Krankenzimmer habe ich häufig „kleine Workshops“ mit meinen lieben Mitpatientinnen gemacht. „Also gleich kommt die Visite, bist du vorbereitet, hast du eine Liste zur Hand, was möchtest du Fragen, wie verhältst du dich, wenn du es nicht verstehst, wie formulierst du Nachfragen und bleib dran.“

Pflichtprogramm für ÄrztInnen

Part von YA
Auch Ärztinnen und Ärzte müssen das Gespräch üben. Das kann man alles lernen, man muss es nur üben. Das gelte sogar für Empathie. Rollenspiele helfen da enorm. Für ihre Buchrecherche war sie dafür auch im cekib (Centrum für Kommunikation – Information – Bildung) im Klinikum Nürnberg. Dort hat sie selbst einen Kurs dazu belegt und in den nachgespielten Szenen gemerkt, wo sie selbst als Mensch und nicht als Profi in Wallung versetzt wurde. Das funktioniere vergleichbar mit sogenannten Balint-Gruppen
.

(Auszug Wikipedia: Balint-Gruppen sind im klassischen Verständnis Arbeitsgruppen von etwa acht bis zwölf Ärzten, die sich unter der Leitung eines erfahrenen Psychotherapeuten regelmäßig treffen, um über „Problempatienten“ aus ihrer Praxiszusprechen.“)

Sie persönlich hat das sehr inspiriert und plädiert dafür, das als Pflichtprogramm für jeden Arzt, jede Ärztin zu installieren.

Ihre „Hard-core-Tipps“ für KollegInnen:
Ausreden lassen, selbst Notizen machen, aktives Zuhören, nicht auf die Folter spannen

Und dann nennt sie einige „Hard-core-Tipps“ für ÄrztInnen: Es wurde ermittelt, dass PatientInnen bereits nach 20 bis 25 Sekunden unterbrochen werden. Würde man sie ausreden lassen, was meist nicht länger als 90 Sekunden dauere, bekäme man einfach auch bessere Informationen und natürlich fühle sich dann die andere Seite auch gehört.

Außerdem dürfen sich auch ÄrztInnen Notizen machen, ganz klassisch auf einem Zettel, und dabei aktiv Zuhören, in dem sie auch noch mal kurz nachfragen „Sie nehmen die Tabletten also immer morgens …“ oder einfach nur „Aha“ oder „mmmhh“ sagen. Das bestätige den Patienten, die Patientin und schaffe ein gutes Klima.

Und: Gerade in der Onkologie sei es angesagt, nach Untersuchungen sofort das Ergebnis mitzuteilen und nicht um den heißen Brei herumzureden. Das quäle die andere Seite unnötig. Gleich sagen, wie der histologische Befund ausgefallen ist, was das CT oder MRT ergeben hat.

Lieber sofort sagen: “Ich habe gute Nachrichten …“ oder „Heute habe ich ein schwieriges Gespräch mit Ihnen zu führen …“ Letzteres signalisiere gleich: Jetzt muss ich stark sein.

Es habe sich noch nie bewährt, den Patienten auf die Folter zu spannen.


Ihre Buchempfehlung (nicht nur) für ihre KollegInnen: „Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen“ Autor: Prof. Jalid Sehouli (Charité Berlin).). Link unten.

Niemals die Hoffnung nehmen

Zur schlechten Nachricht gehöre unbedingt auch, nie die Hoffnung zu nehmen. Medizin sei eben keine Mathematik, sondern Biologie. Da gäbe es doch ab und zu Wunder, Dinge, die man sich so nicht erklären könne. Es gäbe so häufig Prognosen, die überhaupt nicht stimmen, „Gott sei Dank“. „Manchmal sind es eben nur Statistiken und es gibt immer eine Chance. Ärzte müssen darauf achten, die Hoffnung am Leben zu erhalten.“

Selbst in der ausweglosen Lage sind Menschwürde, Schmerzen nehmen, in Harmonie sein, dabei sein, die Angst vor dem Alleingelassen nehmen, entscheidend, um Kraft zu schöpfen.


Sie berichtet auch über ihr sehr persönliches Abschiednehmen von ihrer Schwiegermutter, die im Familienkreis verstorben ist. Natürlich sei das traurig gewesen, aber sie wäre nie allein gewesen. „Das war ein gemeinsames ´Sich-Verabschieden´.“ Das war gut.

„Der Arzt darf auch mal loben“

„Schließlich wollen wir aber alle leben und eine gute Lebensqualität haben.,Hoffnung, die uns Stärke gibt. Stärke zu kämpfen, Stärke gesund zu werden, Stärke dranzubleiben.“

Um das zu unterstützen, dürfe auch mal gelobt werden: „Was Sie alles schon erlebt und durchstanden haben und jetzt können Sie wieder dies und das. Toll, wie sie das geschafft haben.“ Kurz: Sagen, was einen Menschen glücklich macht. Das soll natürlich nicht gelogen sein, man fände aber immer etwas und seien es Bemerkungen über knackige Waden, weil wieder gesportelt wird.

Auch Humor habe seinen Platz und seine Berechtigung bei der Untersuchung. Viele Menschen müssen sich vor ihr nackig machen und nicht alle fühlen sich gleichermaßen wohl dabei, da sagt sie dann gerne mal: „Keine Diagnose durch die Hose.“ Was sofort die Situation mit einem Lachen auflockert.

Humor und Krebs, verträgt sich das? Darf das sein?


Part von NR
Ohne es geplant zu haben wie gesagt, meinen Gesprächsleitfaden konnte ich schnell vernachlässigen –, waren wir dann bei einem Thema, das mir in letzter Zeit häufiger untergekommen ist, nämlich KrebspatientInnen dürfen, können nicht fröhlich sein. Das sei nicht angemessen oder ließe darüber zweifeln, dass sie ernst sei, die Lage. Dieser Vorwurf kommt selbst unter MitpatientInnen vor.

Dabei finde ich, Humor hilft extrem gut und entlastet auch so wunderbar. Aber anscheinend darf das nicht sein. Anscheinend erfüllt man dann die Erwartungen wie man/frau als KrebspatientIn zu sein hat nicht, der/die am besten traurig mit hängend Kopf durch die Gegend läuft und nur heult.

„Man weint, aber eben nicht für immer.“


Part von YA
JA, das sei eben auch so ein Tabu. Jeder der irgendetwas zu persönlichen Symptomen google, käme irgendwann immer bei der möglichen Diagnose Krebs raus. Dass das natürlich nicht immer so ist, steht auf einem anderen Blatt, außerdem werden 50 % der Krebserkrankungen geheilt, das war nicht immer so.  Viele leben sogar mit zwei oder drei Krebsdiagnosen weiter.

Auch das über das Leben nachdenken, über die Endlichkeit, lässt einen gerade besonders das Lachen schätzen und die kleinen, schönen Dinge. Man sollte immer versuchen, auch aus misslichen Situationen etwas Gutes herauszuholen.

Sie habe den Eindruck, dass das gerade KrebspatientInnen gut gelänge, dass sie Dankbarkeit, Demut, Fröhlichkeit. Achtsamkeit, Genussfähigkeit und Leichtigkeit für sich entdecken und damit auch Vorbild werden.

Sie spricht sogar von Leuchttürmen, an denen sich andere orientieren, auch wenn sie selbst das nicht erleben. Und wenn sie dann aber in eine ähnliche Situation kommen – immerhin erkrankt jeder Zweite im Laufe seines Lebens an Krebs – dann wissen sie, dass das nicht das Ende bedeutet.
Man weint, sagt sie, aber eben nicht für immer und das sei doch sehr tröstlich und mutmachend.

Über den Verlust der Leichtigkeit

Part von NR
Der Preis für diese Erkenntnisgewinne ist allerdings auch der Verlust der Leichtigkeit und der Unbeschwertheit. Beides bekommt man nicht zurück.
(Hierfür empfehle ich einen Beitrag – Link unten, in dem ich 16 KrebspatientInnen befrage, ob sie denn ihr Leben vor der Krebsdiagnose zurück wollen. Die Antwort ist fast durchgehend nein. Das Einzige was sie gerne wieder hätten, ist aber eben die Leichtigkeit.)

Part von YA
Ja, durchaus und es bleibt auch immer Angst. Allerdings gibt es verschiedene Typen, manche Menschen sagen, „Ja, der Krebs ist jetzt weg und ich habe keine Angst mehr.“ Das findet sie bemerkenswert. Leichtigkeit wäre auch relativ, denn Hypochonder zum Bespiel hätten nie irgendeine Form von Leichtigkeit, sie sind geprägt von der Angst vor irgendeiner Diagnose, die sie irgendwann heimsucht.


Ich meinte dann, dass ich feststelle, das meine Unbeschwertheit leider unwiederbringlich verschwunden sei. Ich beobachte Veränderungen bei mir sehr viel genauer und denke dann, „Ach, Mist, ist da wieder was? Geht es wieder los?“ Da ist eine große Angespanntheit.

Gerade wenn Nachsorgeuntersuchungen anstehen, merkt man den Verlust der Unbeschwertheit dann sehr schnell wieder, stellen wir beide einvernehmlich fest.

„Sag beim Abschied leise Servus.“ – Wie sage ich, dass wir uns trennen müssen?

Part von NR
Traurig aber wahr, unser Gespräch neigt sich hier dem Ende, allerdings nicht ohne meine Rausschmeißerfrage zu stellen: Wie sage ich, dass sich unsere Wege jetzt leider trennen müssen

Also: „It´s time to say good bye, liebe Ärztin, lieber Arzt.“


Part von YA
Da muss sie dann fast lachen und meint, das wäre durchaus mit einer „normalen“ Trennung zu vergleichen, wenn die Paartherapie oder auch die Paartherapietechniken versagt haben. Dann solle man durchaus sagen, dass das Vertrauensverhältnis gestört sei und seinen Arzt, seine Ärztin verlassen. Gut ist da auch, durchaus die Wahrheit und Beweggründe zu sagen, um vielleicht auch noch eine Möglichkeit der Nachbesserung zu geben und die Therapie fortzusetze
n.

Beide Seiten dürfen entscheiden zu gehen

Die Option der Trennung, stehe aber natürlich auch der Seite des Paares offen. Wenn die feststellt, die Patientin, der Patient vertraut nicht mehr und kritisiert nur, kann auch von hier die Trennung eingeleitet und vollzogen werden. Das sei menschlich und auch Ärztinnen und Ärzte sind bisweilen auch nur Menschen.

Manchmal helfe es dann, zu einer Kollegin, einem Kollegen zu überweisen, der/die vielleicht nicht unbedingt die Lieblingsadresse für sie selbst sei – und schmunzelt, während sie das ausführt.

„Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Und: Auf das Bauchgefühl hören, das helfe durchaus auch.

„Bewertungsportale hassen alle Ärzte. Es gibt ja auch keines für Patienten.“

Was sie latent sauer werden lässt, sind die „Abrechnung“ über die fürchterlichen Bewertungsportale. Das ist einfach unfair und wird von allen aus der Ärzteschaft gehasst. Besser wäre es sogar, für ein klärendes Gespräch einen Termin zu finden und die Dinge ansprechen, die als störend empfunden werden. Es gäbe ja schließlich auch kein Bewertungsportal für PatientInnen. Das solle man doch besser unter sich, „entre nous“ klären.

Eine (aller, aller letzte) Frage mit „Konsequenzen“.

coming soon: 14.10.21!
Der „Bonus-Talk“ (#Folge 8 /Episode 13) mit vielen Tipps zum Thema Haut, Ernährung und einen kleinen Ausblick auf ihre nächsten Projekte

Da ich dann – ganz spontan – eine Frage zur Hautpflege nach Chemo gestellt habe (wann hat „frau“ schon mal eine Hautärztin vor dem Mikrofon), gingen wir dann in die Verlängerung, die eine Extra-Episode verdient hat, so ausführlich und fachlich präzise waren ihre Antworten dazu. Es lohnt sich auf jeden Fall sich diesen „Bonus-Talk“ anzuhören.

Fortsetzung folgt am 14.10.2021!
Titel : Kleines Tutorial mit Frau Dr. Yael Adler „Was tun. wenn die Haut unter der Chemo leidet?“



Hier noch die Links zu den Büchern von Frau Dr. Yael Adler

„Haut nah“: Haut nah: Alles über unser größtes Organ. Neu mit Praxisteil (Erweiterte Ausgabe 2018) : Adler, Dr. med. Yael, Spitzer, Katja: Amazon.de: Bücher

„Darüber spricht man nicht“: Darüber spricht man nicht: Dr. med. Yael Adler erklärt fast alles, was uns peinlich ist : Adler, Dr. med. Yael: Amazon.de: Bücher

„Wir müssen reden, Frau Doktor.“: Wir müssen reden, Frau Doktor!: Wie Ärzte ticken und was Patienten brauchen : Adler, Dr. med. Yael, Spitzer, Katja: Amazon.de: Bücher

Anmerkung: Das Buch habe ich natürlich in Vorbereitung zu unserem Talk vorher gründlich gelesen und kann es wirklich empfehlen. Gerade, wenn du mehr über die verschiedenen „Arzt- und Patienten-Typen“ erfahren, dir mal gedanklich einen Arzt-Kittel (oder einen taillierten für die Ärztinnen) überstreifen möchtest. Außerdem liest es sich leicht und unterhaltsam weg.


Außerdem lesenswert:


Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen“ Autor: Prof. Jalid Sehouli (Charité Berlin). Von der Kunst, schlechte Nachrichten gut zu überbringen : Sehouli, Jalid: Amazon.de: Bücher (eine Empfehlung von Frau Dr. Adler)

Der Link zu meinem Beitrag: Willst du eigentlich dein „altes Leben“ vor der Krebsdiagnose zurück? Eine Frage, 16 Antworten. – Zellenkarussell

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